Das Schwein von Sant‘Agnese

Eine Renaissance-Geschichte

© Beate Schaefer, 1991

 

Der Bischof von Pistoia wandelte auf Abwegen. Auf welchen Wegen, war nicht offiziell bekannt, aber es gab Vermutungen. Eine davon, die sich hartnäckig hielt, war, dass er bei seinem ebenfalls bischöflichen Vetter in Cordoba weile, der durch seine Frömmigkeit bekannt war und ein Traktat über „Fromm scheinen, fromm werden, fromm bleiben – Wege und Irrwege zu Gott“ verfasst hatte. Diese Vermutung, der nebenbei gesagt auch der Kaplan von Sant‘Agnese, einer kleinen Pfarrkirche in Pistoia, anhing, war zwar löblich, aber falsch. Denn wenn der Bischof das Traktat auch kannte und seinem Vetter einen ermunternden Brief geschrieben hatte, so befand er selbst sich doch schon lange in den Klauen des Herrn der Finsternis.

 

Besessen von der Idee, aus weniger edlen Metallen Gold gewinnen zu können, wie es die Alchemie verhieß, hatte er sich eine geheime Bibliothek mit den wichtigsten Werken über diese Disziplin angeschafft und auch selbst schon ein wenig experimentiert, bis er in Parma mit dem angesehenen Maler Parmigianino bekannt geworden war. Dieser erzählte ihm von einer Methode, Quecksilber gerinnen zu machen und damit in Windeseile reich zu werden.

 

Nun saßen Bischof und Maler jede Nacht in der spärlich erleuchteten Werkstatt, murmelten geheimnisvolle Formeln, und blickten mit entzündeten Augen auf die dunkle Flüssigkeit, die in der kunstvollen Apparatur hin- und herschwappte, brodelte und gluckerte. Manchmal goss Parmigianino etwas hinzu oder warf ein Stück fester Materie hinein, so dass die Flüssigkeit zischend aufschäumte. Erfolg hatte sich allerdings bisher noch nicht eingestellt. Parmigianino vernachlässigte seine Malerei und wurde ärmer als zuvor. Der Bischof steckte einen Großteil seines Salärs in Materialien für die Experimente und hielt den Maler mit Zuwendungen am Leben und bei Laune.

 

Natürlich hatte der Bischof für die Dauer seiner Abwesenheit von Pistoia einen Stellvertreter eingesetzt. Dieser Generalvikar grollte seinem Vorgesetzten wegen dessen Verletzung der Residenzpflicht. Er hatte Ambitionen, es auf der Schicksalsleiter noch zu etwas Höherem zu bringen, doch dazu hätte er einen anwesenden Vorgesetzten benötigt, der ihn mit den entsprechenden Leuten zusammenbrachte, ihn mit Empfehlungsschreiben ausstattete und seinen Namen in einflussreichen Kreisen bei passender Gelegenheit fallen ließ. Anderthalb Jahre wartete der Generalvikar ungeduldig auf die Rückkehr des Bischofs, doch dann wurde der Drang nach Höherem in ihm übermächtig, und er begab sich nach Florenz.

 

Der Dom zu Pistoia lag verwaist. Niemand las in ihm die Messe. Wer das Wort Gottes hören wollte, musste in eine der Pfarrkirchen gehen, von denen Sant‘Agnese die kleinste und älteste war. Sie lag eingebettet in das Häusergewimmel direkt hinter dem Dom. Viele Gebäude hier besaßen Grundmauern, die auf römischen Steinen fußten. Die einfache Basilika mit dem verputzten Giebel über der auf schlanken Säulen ruhenden Vorhalle und dem fünfgeschossigen Turm, der sich an die Flanke der Kirche schmiegte, war Mittelpunkt einer lebendigen Gemeinde, die sich in der Mehrzahl aus Handwerkern und Händlern für die Dinge des täglichen Bedarfs zusammensetzte. Hier traf man keine reichen Kaufleute und noch weniger die Nobilität, dafür um so mehr Kinder, Hunde, Hühner, und an jeder Straßenecke kleine Gruppen alter Männer, deren angeregte Beschäftigung darin bestand, auf Lorbeerblättern zu kauen, ab und zu gen Himmel zu schauen, weise zu nicken und den Saft der zerkauten Blätter auszuspucken. Aus ihrer zufriedenen Ruhe scheuchte sie weder das klatschende Geräusch auf, wenn die Gemüsefrau einen Kübel Wasser auf die Straße kippte, dessen Inhalt nicht nur aus Wasser bestand, noch die Neuigkeit, dass der Pfarrer von Sant‘Agnese zur Geburt seines vermutlich zehnten Kindes aufs Land gereist sei und zuvor noch verkündet habe, er müsse sich demnächst gänzlich dem Viehhandel widmen, da von seiner Pfründe nicht einmal ein Zehntel seiner Bälgerschar satt werde. Sie wussten, dass er recht hatte. Auch ohne sich in so exzessiver Weise gegen Gott, die Kirche und das Keuschheitsgelübde zu vergehen, besaß ein niederer Geistlicher gerade genug zum Überleben. Der Gemeinde von Sant‘Agnese war seit langem bekannt, dass ihr Pfarrer mit Vieh handelte, um sich und seine sündige Schar zu ernähren, aber sie verübelten es ihm nicht, tat er doch nur, was andere Gottesmänner ihm vormachten. So viel Anstand besaß er jedoch, die Ergebnisse seiner Fleischeslust auf dem Lande zu belassen und nicht in aller Öffentlichkeit mit ihnen zu protzen, wie es der Pfarrer von San Paolo in Vicenza kürzlich getan, dessen Sprösslinge während der heiligen Messe fröhlich um ihn herumwuselten.

 

Einen allerdings gab es, der keine Nachsicht kannte mit jenen seines Standes, die gegen Gott frevelten, indem sie Handel trieben, Weiber schwängerten, sich der Trunksucht hingaben oder Magie und Hexerei betrieben. Es verlangte ihn danach, mit donnernder Stimme gegen Wollust und Völlerei zu predigen, die Höllenqualen heraufzubeschwören, die derer harrten, die nicht Maß hielten, und die heilige Süße der Askese zu preisen, der Tugend und der Nächstenliebe, die den Sünder dereinst würdig erscheinen ließe, Christus in die Augen zu blicken.

 

Der Kaplan von Sant‘Agnese war eine leidenschaftliche Seele, leidenschaftlich dem Guten zugetan. Er konnte weder lesen noch schreiben, wohnte in einer Kammer im Dachstuhl der Kirche, die über eine Treppe im Turm erreicht werden konnte, und verdiente so wenig, dass sich für diese paar Münzen kein Tagelöhner auf dem Feld verdingt hätte. Da er bar jeder Bildung war, half ihm auch sein lateinisches Brevier nichts, mit dem er hätte die Messe gestalten können, wenn der Pfarrer abwesend war. Zwar konnte er die meisten Texte auswendig, war sich jedoch niemals über die Reihenfolge sicher. Nachdem er es einige Male aus dem Stegreif versucht hatte und dabei kläglich gescheitert war, hatte er es aufgegeben, um nicht gänzlich zum Gespött der Gemeinde zu werden. Predigen durfte er nicht, und so musste er dieses fruchtbare Feld, auf dem, wie er spürte, seine Talente lagen, den Dominikanern und Franziskanern überlassen, die als Bettelmönche in die Stadt kamen, und deren Predigten einen solchen Zulauf hatten, dass sie mehr als gut dabei verdienten. 

 

Schauspieler sind sie, dachte der Kaplan, als er nach der Abreise des Pfarrers in seine Stube unterm Dach zurückgekehrt war. Trübe starrte er durch das einzige Fensterchen gegen die nächste Hauswand, wo sich in einer Mauernische zwei Tauben paarten. Angewidert wandte er sich ab. „Schauspieler! Scharlatane! Verführer! Welch eine Unverschämtheit von jenem Franziskusjünger, einen angeblich von Christus höchstpersönlich verfassten Brief an die Pistoier vorzulesen“, schimpfte er. Und wie sich die Menge um ihn geschart hatte mit vor Staunen und Ehrfurcht offenen Mündern. „Sie gieren nach Wunderbarem, und erst, wenn der Herrgott ihnen als Jahrmarktschreier erscheint, ist er ihnen interessant“, sprach der Kaplan zornig zu sich selbst. „Die Messe ist ihnen langweilig, weil sie die Texte nicht verstehen. Und keiner ist hier, der dem Unwesen der Bettelmönche Einhalt gebieten könnte. Pistoia, du Arme! Du hast einen Bischof und doch keinen. Du hast einen Stellvertreter des Bischofs und doch keinen. Die Pfarrer deiner Kirchengemeinden sind Viehhändler und Söhne des Lasters. Und alles, wozu deine Kapläne taugen, ist, den alten Frauen geweihte Kerzen und geweihtes Öl zu verkaufen und die Liebespaare aus den düsteren, verlassenen Kirchen zu verscheuchen. Aber ich will nicht klagen. Gottes unerforschlicher Ratschluss hat es so gefügt, und so muss ich es tragen.“ Er seufzte. Arm zu sein, machte ihm nichts aus, so lange er ein Gewand auf dem Leib und ein Stück Brot im Magen hatte. Seit frühester Kindheit war er nichts anderes gewohnt. Auch sein bescheidenes Domizil im Dachstuhl von Sant‘Agnese genügte ihm durchaus. Zwar war es im Sommer drückend heiß, im Winter dagegen bitterkalt und zugig, zwar bestand die Möblierung nur aus dem allernotwendigsten, hatte man ihm zudem das Kochen untersagt, da die Furcht zu groß war, dass der Dachstuhl Feuer fangen könnte, doch dafür blieb er keinem habgierigen Gevatter die Miete schuldig.

 

Der Kaplan nahm ein Stück hartgetrocknetes Brot und brach es entzwei. Das knackende Geräusch schien ihm überlaut in der dumpfen Mittagsstille. Er wagte nicht, eine Ecke der Kruste abzubeißen, aus Angst, dass sich das unnatürliche Geräusch wiederholen würde. Ein Gefühl bodenloser Einsamkeit überwältigte ihn und nahm ihm fast den Atem. Er vermisste das Geläute, das in seinen Ohren schmerzte. Er vermisste die Menschen, die in die kleine Kirche strömten. Er vermisste den vertrauten Singsang der Psalmen. Er vermisste die neumodischen Messgesänge, deren Melodien alten Volksweisen entstammten und von jung und alt begeistert gesungen wurden. Er vermisste die festlichen Taufen mit ihrem Hoffnungsschimmer, der jeden neuen Erdenbürger umschwebt. Er vermisste ganz einfach das Leben, das einst in Sant‘Agnese geherrscht hatte. In diesem Moment fühlte der Kaplan sich so gottverlassen, dass er die Mätresse seines Pfarrers mitsamt ihren zehn Kindern willkommen geheißen hätte, wenn damit nur das Leben zurückkehrte.

 

Eine Weile saß er traurig vor seinem kargen Mahl, doch dann besann er sich. „Ich werde nach unten gehen und die Muttergottes um Hilfe anflehen“, sagte er, legte das Brot zurück auf den Tisch und verließ seine Kammer. Der Glockenturm, in dem sich die Treppe befand, war wesentlich jünger als Sant‘Agnese selbst und sah eigentlich aus wie ein gewöhnlicher Campanile mit zierlichen, rundbogigen Fensteröffnungen auf allen vier Seiten der beiden Obergeschosse und einem pyramidenförmigen, niedrigen Dach. Von seinen vielen freistehenden Vettern unterschied er sich allerdings dadurch, dass die Baumeister ihn aus Platzmangel mit der Kirche verbunden hatten, so dass sein unterer Teil Part des linken Seitenschiffs war, der mittlere Teil sich an das Hauptschiff lehnte, und nur die drei niedrigen obersten Geschosse frei in den Himmel ragten.

 

Der Kaplan schloss die wacklige Holztür hinter sich, die seine Stube vom Treppenhaus im Turm trennte, und stieg langsam die Stufen hinunter. Durch eine weitere Tür gelangte er sodann ins Seitenschiff der Kirche. Dämmerlicht hüllte ihn ein. Die Fenster der Seitenschiffe ließen kaum Helligkeit herein, da sich nahezu ohne Abstand Wohnhäuser an die Mauern von Sant‘Agnese drängten. Die schönen rundbogigen Fenster des Hauptschiffs waren nicht, wie im Dom, mit Scheiben aus Alabaster gefüllt, sondern offen für Sonne und Wind, aber die dunkle hölzerne Decke verschluckte ein Gutteil des Lichtes gleich wieder. Säulen und Wände trugen gemalte Ornamente, die so verblichen waren, dass man sie an vielen Stellen kaum noch sah. Für Freskomalereien, die vielleicht Geschichten aus dem Leben der heiligen Familie erzählten oder von den Leiden der christlichen Märtyrer berichteten, war die Gemeinde zu arm.

 

Niemand war da. Das Hauptportal stand einen Spaltbreit offen, und während der Kaplan nach hinten zur Apsis ging, spazierte leise gackernd ein braunes Huhn herein, pickte hier und da in die Ritzen zwischen den Terrakottafliesen, legte ab und zu den Kopf schief, um etwas ins Auge zu fassen, fand nichts, was sich der Mühe lohnte, und spazierte wieder hinaus. Der Kaplan zählte die brennenden Kerzen. Es waren drei, wenn man die vierte, die gerade flackernd erlosch, nicht mitrechnete.

 

Das Apsismosaik war das Schönste an Sant‘Agnese. Der Kaplan liebte das halbrunde Himmelszelt aus dunkelblauen Glassteinchen, in dem golden Sonne, Mond und Sterne zugleich glitzerten. Und inmitten dieser Weite befand sich Jesus in Gestalt des guten Hirten. Er hatte große, gütige Augen, die ein wenig traurig blickten, trug ein faltenreiches, langes Gewand und hielt den Hirtenstab in der Linken. Die rechte Hand war segnend ausgestreckt, während eine weiße, ganz naturgetreue Schafherde sich zu seinen Füßen scharte. Was dem Kaplan allerdings Sorge bereitete, war der große goldene Heiligenschein Christi, denn immer wieder kam es just an dieser Stelle vor, dass winzige Mosaiksteinchen sich lösten und herunterfielen, was auf die Dauer gesehen den hässlichen grauen Unterputz zum Vorschein treten ließ, so dass es aussah, als hätte der Heiligenschein Flecken bekommen. Manchmal gelang es dem Kaplan, die Steinchen zu finden und aufzulesen. Dann wickelte er sie vorsichtig in ein Tuch und trug sie hinauf in seine Kammer, wo er sie in einem Gefäß aufbewahrte für den Fall, dass irgendwann einmal Geld genug vorhanden sein würde, um einen Mosaikmeister mit der Wiederinstandsetzung zu beauftragen. Erleichtert sah er, dass heute zumindest alles noch im alten Zustand verblieben war. Dann ging er hinüber zu der Nische im vorderen Teil der Kirche, wo eine hölzerne Statue der Madonna mit dem Jesusknaben stand, kniete nieder und fing an zu beten. 

 

Später, viel später, erhob er sich mit schmerzenden Knien und schickte sich an, wieder nach oben zu gehen, da er nichts anderes mit sich anzufangen wusste. Als er am Kirchenportal vorbeikam, hörte er die Stimmen von zwei Männern, die sich draußen in der Vorhalle miteinander unterhielten.

 

„Dieses Jahr habe ich darauf gesehen, dass es ein gutes, fettes Schwein ist“, sagte der eine. „Das letzte Mal hat uns Giovanni betrogen und uns das schwächste gegeben, das er ausfindig machen konnte.“

 

„Ja“, sagte der andere. „Betrogen hat er uns, der Schuft. Das Schwein, das er uns gab, war so klein und mager, dass selbst Lorenzo, der es schließlich fing, keine Lust hatte, es zu behalten.“

 

„Diesmal wird es ein Fest, wenn wir es schlachten. Dann gibt es nicht nur eine dünne Metzelsuppe, das verspreche ich dir.“

 

„Erstmal musst du es fangen und sehen, dass es dir nicht ein anderer vor der Nase wegschnappt.“

 

„Oh, keine Sorge. Ich werde es schon kriegen.“

 

„Wann geht es morgen los?“

 

„Um zehn bringt Giovanni das Schwein. Und dann beginnt die Hatz. Das wird ein Spaß!“

 

„Ich hab es drei Jahre hintereinander gefangen, damals, anno drei, vier und fünf. Jetzt bin ich zu alt. Die Knochen wollen nicht mehr so recht. Die Biester sind zu schnell für mich geworden, und der Boden ist gefährlich glatt.“

 

„Man darf keine Schuhe anziehen.“

 

„Ganz recht, barfuß fängt man das Schwein von Sant‘Agnese.“

 

„Eigentlich eine komische Sache. Das war schon immer so. Schon mein Großvater hat vor der Schweinejagd am dreiundzwanzigsten Mai in Sant‘Agnese erzählt.“

 

„Muss wohl was Uraltes sein.“

 

„Gewiss. Uralt.“

 

„Dann kann es nicht Unrecht sein.“

 

„Niemals.“

 

„Also bis morgen.“

 

„Bis morgen.“

 

Der Kaplan, der das alles mitangehört hatte, schüttelte sich. Also war es morgen wieder so weit. Einmal im Jahr, am dreiundzwanzigsten Mai, musste er ohnmächtig zusehen, wie seine Kirche entweiht, ja geschändet wurde durch das infamste aller Schauspiele. Ein Schwein wurde gebracht und in die Kirche gesperrt, und dann gingen die jungen Männer der Gemeinde daran, es zu fangen. Denn wer es fing, der durfte es behalten und erwarb sich mit ein wenig Geschick ein Gut, für das er ansonsten in barer Münze hätte zahlen müssen.

 

Mit bleiernen Füßen stieg der Kaplan die Treppe hinauf. Morgen, dachte er. Er hatte den dreiundzwanzigsten Mai völlig vergessen gehabt. Morgen früh. Was konnte er tun, als für die Sünder zu beten?

 

Der Morgen kam, und mit ihm kam das Schwein. Es war groß und wohlproportioniert, nicht zu hochbeinig, mit fettem Bauch und magerem Rücken. Ein Schwein also, das die Herzen der Pistoier höher schlagen ließ, wenn sie daran dachten, wie seine delikaten Einzelteile in ihren Töpfen schmurgeln und welch leckere Würste sein Fleisch und Fett ergeben würden. Das einzig Merkwürdige an ihm war das linke Ohr, das aufgrund eines Geburtsfehlers stets umgeklappt blieb und dem Betrachter den Eindruck vermittelte, als höre dieses Schwein aufmerksam auf alles, was gesagt wurde.

 

Giovanni, der Besitzer, führte es am Strick bis zur Kirchentür, doch dort stemmte es alle vier Beine in den Boden und war nicht dazu zu bewegen, auch nur einen Schritt weiterzugehen.

Die Männer lachten. Eine große Menschenmenge hatte sich bereits angesammelt, und die jungen Pistoier standen bereit, um die Schweinehatz zu beginnen.

 

„He, Giovanni“, rief einer der Männer. „Das ist ein schlaues Schwein. Es hat gehört, was seinem Vorgänger passiert ist!“

 

„An dem war nicht viel dran“, gab ein anderer zurück. „Davon ist keiner satt geworden.“

 

„Giovanni, alter Geizhals, was hat dich bewogen, ein solches Prachtschwein zu stiften?“, spottete ein Dritter.

 

„Dieser Brauch wird noch mein Untergang sein“, jammerte Giovanni. „Erst muss ich die Sau daran hindern, ihre Jungen gleich wieder aufzufressen, wenn sie sie geboren hat, dann kostet es Mühe und Geld, sie großzuziehen, und dann kriegt einer von euch das Fetteste, ohne dass ich auch nur einen Silberling dafür sehe!“

 

„Dafür zahlst du auch nichts, wenn du deine Säue im Herbst zur Atzung in meinen Eichenwald treibst“, rief der Erste. „Hör auf zu jammern und schaff das Schwein in die Kirche.“

 

Mit vereinten Kräften zogen und schoben die Männer das Schwein durch die Tür. Die Gemeindemitglieder, die sich an der Jagd beteiligen wollten, entledigten sich in der Vorhalle ihrer Schuhe, damit sie auf dem glatten Terrakottaboden nicht ausrutschen würden. Keiner trug seine gewöhnliche Kleidung, sondern sie alle traten in engen, halblangen Hosen aus Leder an, während der Oberkörper unbedeckt blieb. Sie waren ein schöner, stattlicher Anblick, braunglänzend und muskulös, und man traute ihnen einiges an Geschicklichkeit und Schnelligkeit zu.

 

Mit einem dumpfen Geräusch schlossen sich die schweren Flügel des Kirchenportals hinter ihnen, doch die Menge, die draußen bleiben musste, zerstreute sich nicht. Sie wartete gespannt auf den Sieger.

 

Drinnen lief alles nach wohlausgedachten Regeln ab. Das Schwein wurde zur Apsis gebracht, während sich die Fänger am anderen Ende der Kirche nebeneinander aufstellten. Zwei ältere Gemeindemitglieder würden über den fairen Ausgang der Jagd wachen.

 

Jetzt lockerte Giovanni den Strick um den Hals des Schweins, und dann gab der eine Schiedsrichter auch schon das Signal. „Los!“ Die Schlinge löste sich, und Giovanni brachte sich hinter dem Altar in Sicherheit. Das Schwein rührte sich nicht. Wie angewurzelt stand es da, das linke Ohr zurückgeklappt, und fixierte seine Feinde, die sich langsam wie eine menschliche Wand auf ihr Opfer zubewegten.

 

Die Haltung der Männer war leicht gebückt mit angewinkelten Armen, die Hände zum Greifen geöffnet. Leise glitten ihre bloßen Füße nahezu im Gleichschritt über die kalten Fliesen. Immer näher und näher rückten sie dem Schwein. Als sie etwa die Hälfte der Kirche durchmessen hatten, kamen die, die sich am Rande der Kette befanden, langsam nach innen, so dass die Fänger sich nun in einem Halbkreis an das Tier heranpirschten. Und erst, als sie etwa fünf Meter von ihm entfernt waren, löste sich aus ihren Kehlen ein vielstimmiger Schrei, brach die Kette auseinander, warfen sich die Männerleiber nach vorn, um nach der Beute zu greifen.

 

In dieser Sekunde kam Leben in das Schwein. Laut quiekend und so schnell, wie es keiner vermutet hatte, schoss es zwischen seinen Angreifern hindurch und brachte beim Zusammenprall einen Fänger zu Fall. Es raste zum Portal und blieb dort mit bebenden Flanken stehen.

 

Nun formierten sich die Männer erneut in einer Linie, stetig und unerschrocken fixiert von dem Schwein. Das Spiel wiederholte sich noch zwei Mal in derselben Art, doch dann war auch in dem letzten der Jäger der Instinkt erwacht, der sein Blut in Wallung brachte und ihn nach dem Fall des Untiers gieren ließ. Wütend trieben sie das Schwein in die Enge, nur um zu sehen, dass es schlau jede Lücke erspähte und hindurchbrach. Zu viert verstellten sie ihm den Weg, während die anderen seitlich lauerten, nur um zu erkennen, dass auch ein Borstenvieh Haken schlagen kann. Endlich aber hatten sie es derart eingekreist, dass kein Entrinnen mehr möglich schien.

 

Doch nun geschah das Seltsame. Das Schwein befand sich in der vorderen Ecke des Seitenschiffes, an das sich der Turm anschloss. Schritt für Schritt wich es zurück, bis es nicht mehr weiterging. Und da, als einer der Männer sich ihm bereits bis auf einen halben Meter genähert hatte, eröffnete sich ihm ein Weg der Rettung, an den keiner der Beteiligten gedacht hatte. Die Tür, die in den Turm führte, stand einen Spaltbreit offen und bot dem Schwein einen Durchschlupf, den es nicht zögerte wahrzunehmen. Mit einem gewaltigen Satz drehte es sich um, gerade als der Fänger es packen wollte, raste laut quiekend und polternd die Treppe hinauf, und da es einmal in Fahrt war, hielt es auch die wacklige Tür zur Stube des Kaplans nicht auf. Holz splitterte, als das Schwein sich mit seinem ganzen Gewicht gegen sie warf und ins Zimmer galoppierte. Mit Schwung sprang es mitten auf die Bettstatt des Kaplans, die unter seinem Gewicht zusammenbrach, und blieb dort schnaufend liegen.

 

Der völlig verdutzte Kaplan hatte kaum Zeit, die Sachlage zu erfassen, als er auch schon die Schritte der Verfolger auf der Treppe hörte. Ohne recht zu wissen, was er tat, sprang er auf, nahm sein Kreuz und stellte sich den Eindringlingen entgegen. Als der erste der Männer vor ihm erschien, hob er ihm das Kreuz entgegen und rief: „Zurück! Keiner kommt mir über meine Schwelle! Dieses Tier hat sich in seiner Not zu mir geflüchtet, und Gott ist mit den Verfolgten!“

 

Der junge Mann, der schon den Speck des Borstentiers unter seinen Fingern gefühlt hatte, war wütend. „Das hier ist kein Mensch, sondern ein Schwein. Und dieses Schwein gehört mir!“

 

„Alle Lebewesen sind Geschöpfe Gottes“, entgegnete der Kaplan. „Und als solche unterstehen sie dem Schutz der Kirche.“

 

„Unsinn. Gib uns das Schwein heraus, sag ich dir!“

 

„Niemals!“

 

Mittlerweile hatten sich die beiden Schiedsrichter die Treppe hochgezwängt, auf der dicht an dicht die übrigen Jäger standen. Sie spähten in das Zimmer des Kaplans und sahen das Schwein, das sich nun aufgerichtet hatte und mit umgeklapptem linken Ohr auf den Ausgang des Wortgefechtes zu lauschen schien. Sie flüsterten kurz miteinander, nickten sich dann zu und verkündeten ihre Entscheidung.

 

„Recht muss Recht bleiben“, sagte der Erste. „Ganz offensichtlich ist der Kaplan derjenige, der das Schwein gefangen hat, wenn auch unfreiwillig.“

 

„Er hat es, und ihm soll es gehören“, ergänzte der Zweite.

 

„Was will der Kaplan mit einem Schwein?“, fragte einer der Männer.

 

„Dummkopf, dasselbe wie du. Es schlachten und aufessen!“, rief ein anderer lachend.

 

Dem widersprach der Kaplan erzürnt. „Die Hölle ist denen gewiss, die das Vertrauen derer missbrauchen, die Schutz suchen!“

 

„Was willst du denn dann damit machen?“, fragte einer der Schiedsrichter.

 

„Das wird sich finden“, antwortete der Kaplan.

 

„Na gut. Dann gehen wir am besten.“ Die beiden Schiedsrichter schoben sich wieder an den Jägern vorbei die Treppe hinunter, und nach einigem Füßescharren und Murren folgten ihnen die anderen. Unten gab einer der leer ausgegangenen Fänger der Tür zum Turm einen Tritt.

 

„Vermaledeites Ding. Warum war sie nicht abgeschlossen?“

 

„Weiß nicht“, meinte sein Kumpan. „Lass doch gut sein. Nächstes Jahr gibt es wieder ein Schwein.“

 

Die Erheiterung der Gemeinde, als sie erfuhr, was geschehen war, ließ sich kaum beschreiben. Bald war die Geschichte in ganz Pistoia herum, und als der Kaplan begann, zwei Mal am Tag stolz mit seinem Schwein an der Leine spazierenzugehen, kannte das Gelächter keine Grenzen mehr.

 

Den Kaplan kümmerte das nicht. Er reparierte notdürftig sein Bett, war glücklich und fühlte sich Gott näher als je zuvor. Er war dankbar dafür, dass jemand Zuflucht bei ihm, dem armseligen kleinen Kaplan von Sant‘Agnese gesucht hatte, auch wenn es nur ein Schwein war. Er war dankbar dafür, dass er ein gutes Werk vollbringen durfte, indem er es am Leben erhielt. Und auch, wenn die zerstörte Tür zu seinem Gemach ihn schmerzte, war er doch dankbar dafür, dass er nun nicht mehr allein war.

 

Das Schwein erwies sich als angenehmer Gefährte. Der Kaplan hatte ihm ein Lager aus Stroh bereitet; es erwies sich als stubenrein, wenn man es zwei Mal täglich spazieren führte; es war unterhaltsam in seinen Gebärden und seiner Mimik – und es war mit seinem zurückgeklappten Ohr ein guter Zuhörer. Nun machte es dem Kaplan geradezu Spaß, Predigten zu entwerfen, die die Sünder das Fürchten lehren sollten, die Stimme grollen zu lassen und die Gewalt der Worte mit ausdrucksvollen Gesten zu verdeutlichen. Das Schwein saß dann immer ruhig und würdevoll zu seinen Füßen, sah ihn aus kleinen, klugen Äuglein an und gab auch manchmal Laute von sich, die er nach Belieben als Zustimmung oder Ablehnung werten konnte. Er hatte nie geglaubt, dass es so inspirierend sein konnte, ein Publikum zu haben.

 

Einzig der große Appetit seines vierbeinigen Freundes bereitete dem Kaplan manchmal Kopfzerbrechen. Zwar vertilgte das Schwein eigentlich alles, was er ihm vorsetzte, doch nachdem er es in seiner Euphorie die erste Zeit an seiner eigenen Kost hatte teilnehmen lassen, war nicht mehr daran zu denken, es mit dem Faulkram abzuspeisen, den seine Gefährten auf Giovannis Hof fressen mussten. Das Schwein war wählerisch geworden, bevorzugte frisches Gemüse oder gerne auch etwas unverdorbenen Fleischabfall, den der Kaplan heimlich bei Dunkelheit frühmorgens aus der Metzgerrinne klaubte. Zurzeit war das kein großes Problem. Frisches Gemüse gab es im Sommer zuhauf, dazu bald reifes Getreide, und der Kaplan wusste, wo er sich heimlich in den frühen Morgenstunden auf den Feldern und in den Gärten bedienen konnte. Danach ging er in die Nachbargemeinde und erleichterte sein Gewissen, indem er beichtete. Im Winter mochte es allerdings schwierig werden, genügend Nahrung für das Schwein heranzuschaffen. Die rauen Monate jedoch waren noch weit, und so lebten die beiden in fröhlicher Gemeinschaft.

 

Weder der Bischof, noch der Generalvikar, noch der Pfarrer waren bis November nach Pistoia zurückgekehrt. In Sant‘Agnese wohnte noch immer der Kaplan mit seinem Schwein, aber die Gemeinde hatte längst aufgehört, über ihn zu spotten. Ein anderer Skandal war an die Stelle des Maispektakels getreten und hatte die Gemüter bis aufs äußerste erregt, doch davon bekam der Kaplan von Sant‘Agnese nur am Rande etwas mit. Er hatte seit kurzem ein ganz eigenes Problem. Sein Schwein, das im Sommer und Herbst noch größer und fetter geworden war, bekam nun eine gewisse Nahrungsmangellage zu spüren. Selbst verbotenerweise war auf den Äckern nichts mehr zu holen, und auch, wenn der Kaplan seine wenigen Ersparnisse nun für Nahrungsmittel ausgab, schrumpften die Mengen.

 

Eines Abends Anfang Dezember – der Kaplan war gerade ins Nachtgebet vertieft – schreckte ihn ein Geräusch auf, das wie ein gedämpftes Grollen klang. Er sah zu dem Schwein hinüber, denn von dort war es gekommen. Eine Sekunde war es still, dann ertönte das Grollen wieder. Es kam unzweifelhaft aus dem Bauch des Schweins. Es hat Hunger, dachte der Kaplan unglücklich. Ihm knurrt der Magen, weil ihm die Abendvesper fehlt. Auf dem Tisch lag ein fast neuer Laib Brot. Der Kaplan schnitt ihn in zwei Hälften und brachte dem Schwein die größere davon. Es schmatzte und knurpste zufrieden und schlief dann ein.

 

Am nächsten Abend passierte das Gleiche, und der Kaplan opferte auch die zweite Hälfte des Brotes, das als Wochenration geplant gewesen war. Ich werde mich einschränken, dachte er. Schließlich brauche ich nicht viel.

 

Eine Weile ging alles gut. Das Schwein erhielt den Löwenanteil von allem, was an Essbarem vorhanden war, und hielt sein Gewicht. Der Kaplan allerdings verlor ein paar Pfunde, und jetzt knurrte ihm des Abends der Magen, wenn das Schwein längst satt und selig schlief.

 

Doch irgendwann schrumpfte auch der Löwenanteil auf ein unerträgliches Minimum. Jetzt knurrte der Magen des Kaplans mit dem des Schweins um die Wette. Sie saßen halbe Nächte wach in der Stube des Kaplans und blickten sich gegenseitig mit hungrigen Augen an. Die des Kaplans waren stumpf und lagen tief in den Höhlen; die des Schweins blickten klug und durchdringend.

 

Eines rauen Januartags ging der Kaplan mit dem Schwein spazieren. Der Wind pfiff durch die Häuserschluchten, und die nasse Kälte kroch dem mageren Mann unter das Hemd. Unterwegs trafen sie einen der beiden Schiedsrichter, der im Mai bei der Hatz in der Kirche dabei gewesen war.

 

„Du siehst nicht wohl aus, Kaplan“, meinte der Schiedsrichter. „Du solltest mehr essen.“

 

„Mir geht es gut“, erwiderte der Kaplan. „Nur die Preise sind hoch in letzter Zeit, und jenes Schwein ist ein starker Esser.“

 

„Verstehe sowieso nicht, warum du es nicht längst zum Schlachter gebracht hast. Einen ganzen Winter könntest du gut und gerne davon leben. Stell dir nur die leckeren Würste vor, den Schinken und die Rippchen. Oder gar gepökelter Schweinsfuß!“

            

„Wie kannst du so etwas auch nur denken“, rief der Kaplan empört. „Dies hier ist kein gewöhnliches Schwein. Es hat mich auserwählt als Beschützer, und ich werde das Vertrauen, das es mir schenkte, niemals missbrauchen.“

            

„Lieber verhungern, was?“, erwiderte der Schiedsrichter spöttisch. „Na, du kannst es dir ja noch überlegen.“

            

„Niemals!“, erklärte der Kaplan und ging davon. Das Schwein trottete brav neben ihm her.

            

Am nächsten Tag nahm er sein lateinisches Brevier mit dem Goldschnitt und brachte es zum Geldverleiher. Er bekam nicht einen Bruchteil dessen dafür, was es wert war, aber es reichte aus, um sich und dem Schwein für zwei Wochen volle Mägen zu verschaffen. Bald folgten sein zweites Paar Schuhe und ein Becher aus Zinn dem Brevier. Dann folgten seine wollene Mütze und der einzige Teller, den er besaß. Zuletzt verpfändete er seinen silbernen Rosenkranz, und dann folgte nichts mehr, denn er besaß nichts mehr, außer dem, was er auf dem Leibe trug.

            

Der Februar kam, und wieder saßen Schwein und Kaplan sich abends mit leeren Bäuchen gegenüber. Wenn der Kaplan ein paar Stunden Schlaf fand, träumte er von Kasseler im Brotteig, Blut- und Leberwürsten und Schweinesülze. Völlig zermartert und mit hohlen Wangen wachte er dann am anderen Morgen auf, fühlte sich schuldig und wagte kaum, das Schwein anzublicken, das aufrecht auf seinem Strohlager saß und ihn aus hungrigen Augen ansah. Für den Kaplan war es ein Tag der Buße und des Verzichts auf jegliche Nahrung, zur Strafe für seine sündigen Träume. Alles, was er an Essbarem zu erwerben oder zu finden, ja, auch zu stehlen in der Lage war, bekam das Schwein. Es fraß, rülpste, und sah den Kaplan aus hungrigen Augen an.

            

Der Kaplan war erschöpft. „Bald weiß ich nicht mehr, womit ich uns am Leben erhalten soll“, sagte er zu dem Schwein. „Es reicht hinten und vorne nicht, und ich bin so schwach, dass ich bald nicht mehr werde ausgehen können. Ach, was soll bloß aus uns werden“, klagte er und stützte den Kopf in die Hände. Das Schwein erwiderte nichts, sondern sah ihn aus immer hungrigeren Augen an.

            

Am zehnten Februar schneite es seit Jahren wieder das erste Mal in Pistoia. Dick und weich fielen die Flocken auf die Stadt und dämpften die Schritte der Menschen und das Trappeln der Pferdehufe. Der Kaplan lag auf seinem Bett und wusste, dass es mit ihm zu Ende ging. Seit Tagen war er nicht mehr draußen gewesen, um nach Essbarem zu suchen. Er hatte alle Hoffnung aufgegeben, dass sich sein Schicksal noch zum Besseren wenden würde, und begab sich in seinen letzten Gebeten in Gottes Hand. Manchmal schwanden ihm die Sinne, und wenn er wieder zu sich kam, hatte er Mühe, sich zu erinnern, dass er nicht allein im Zimmer war. Mühsam hob er dann den Kopf und suchte das Schwein. Es war mager geworden, und jedesmal, wenn sich ihre Blicke trafen, war es dem Kaplan, als habe sich in die klugen, wimpernlosen Schweinsäuglein ein anderer Ausdruck eingeschlichen. Dieser Ausdruck beunruhigte ihn, aber er konnte ihn nicht deuten. Das Schwein saß auf seinem Strohlager und sah ihn hungrig an.

            

„Wer wird bloß für dich sorgen“, jammerte der Kaplan. „Ich kann es nicht mehr.“

            

Ein Rascheln verriet ihm, dass das Schwein sich erhoben hatte. Tok, tok, tok, tok machten die Füße des Schweins auf dem Dielenboden. Tok, tok, tok, tok. Dann stand es neben seinem Bett und schnaufte. Mit allerletzter Kraft wandte der Kaplan den Kopf, ein letztes Mal klärten sich die Schleier vor seinen Augen. Das Schwein blickte ihn unverwandt an, und plötzlich wusste er, was sich verändert hatte. Es blickte ihn an, klug, hungrig – und böse. Ein Stöhnen entrang sich der Brust des Kaplans. „Maria, Muttergottes, hilf!“ Dann brachen seine Augen.

 

Nach einer Woche lag immer noch Schnee. Ja, in der Nacht war sogar neuer gefallen und hatte die Spuren des Vortags überdeckt. Es war noch nicht hell, aber ein graues Licht kündete den Tag, als aus der Kirche Sant‘Agnese Geräusche drangen. Zuerst ein gleichmäßiges klock, klock, klock, wie wenn jemand die Holztreppe im Turm herunter stiege, dann das Knarren einer Tür im Inneren der Kirche, dann ein tap, tap, tap, tap auf den roten Terrakottafliesen. Langsam öffnete sich darauf der eine Flügel des Kirchenportals, und das Schwein trat in das Dämmerlicht der Vorhalle. Es verweilte kurz auf der Schwelle, streckte witternd seine Schnauze in die frische Morgenluft, und spazierte dann mit erhobenem Kopf, wohlgenährt und picobello die weiße Straße hinunter, wobei es eine deutlich sichtbare Spur hinterließ.

            

Der Kaplan von Sant‘Agnese jedoch ward nie mehr gesehen.