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Frische Grube in der Fischergrube

Dieser Blog hat seit dem 07. Juni 2020 eine Fortsetzung auf der Seite Frische Grube in der Fischergrube 2.

 

Aus meinem Eulennest in der Lübecker Fischergrube begleite ich seit Mai 2019 den Neubau auf einer der letzten Brachen in der Altstadt mit Text und Bild.

 

Zur Info: Den neuesten Eintrag finden Sie immer oben!

 

Sie können die Bilder mit einem Mausklick auch vergrößern!

03. Juni 2020

Innerhalb eines Tages wurde die Decke gegossen. Da ist viel Handarbeit dabei, denn wenn der Kran den Schwebetopf mit dem Beton an die richtige Stelle gebracht hat und die dicke graue Soße rausgequollen ist, wird der Brei mit Rechen und Glattzieher sauber und exakt verteilt. Ich hatte eine Vision und sah, wie die neuen Bewohner in den nun aufgeteilten Wohnungen ihre Wünsche äußern, was auf den (noch zu legenden) Estrich dann für ein Bodenbelag drauf soll. Fliesen die einen, die beliebte Vinylplanke die anderen, vielleicht hat einer auch Geld genug für Stäbchenparkett? Ich würde mich, glaube ich, für echtes Linoleum entscheiden. Das passt zwar überhaupt nicht zu einem solchen Neubau, aber es riecht so gut und hält ewig.

29. Mai 2020

Von wegen gut ist ... Auf die Fertigteile wurde eine Lage Stahlskelett gepackt und darüber gießen sie dann vermutlich nächste Woche hm lecker Kiesbeton. Tempo, Tempo ... Der Gebäudeteil hinten schwächelt dagegen etwas, aber das kann ja noch werden.

Was mich im Moment viel mehr interessiert, ist, weshalb die Eigentümer der Terrassenwohnung im OG gegenüber (die mit der Markise) an jedem sonnigen Tag pünktlich um sieben Uhr Abends den Strandkorb einpacken. Andere Leute würden jetzt die Oliven, den Käse und den Wein auspacken, den Sonnenuntergang genießen und der Amsel zuhören. Meinetwegen auch mit Bier und Chips. Ganz egal. So eine Terrasse an einem warmen Sommerabend sich selbst zu überlassen, ist ein Sakrileg. Was könnte schuld daran sein? Höchstwahrscheinlich der Fernseher. Jedenfalls fällt mir kein anderer Grund ein.

20. Mai 2020

So schnell kann's gehen: Deckel zu und gut ist ...

20. Mai 2020

Hier kann man schön sehen, wie die Decken "eingezogen" werden. Die Platten werden einfach auf die Mauern gelegt. Spannend wird es, zu erfahren, wie die Dinger fixiert werden. Aber ich weiß nicht, ob ich in eine dieser Wohnungen mit einem Steinway Grand Piano einziehen würde. Gut, dass man bei den meisten Häusern, egal wie alt sie sind, nicht weiß, wie sie errichtet wurden ...

19. Mai 2020

Gestern kamen schon mal ein paar Treppen (rechts unten auf dem langen Transporter). Fertigteile natürlich, aber den Trick kannten schon die alten Römer. Samstags wird hier übrigens im Moment auch gearbeitet. Alles zahnt so nahtlos ineinander, dass es eine Wonne ist, zuzusehen. Seltsamerweise hält sich der Baulärm in Grenzen. Ab und zu nervt die Steinsäge, aber ich liebe es, wenn die Maurer mit Wasserwaage und Gummihammer die weißen Blöcke exakt positionieren, ich höre gern zu, wenn der Kran surrt, und ich mag auch das Metallgeräusch beim Aufbau des Gerüsts.

15. Mai 2020

Hätte ich mir ja denken können. Jetzt kommt das Baugerüst. Hab ja schon genügend Baustellen gesehen, um zu wissen, dass so ein Ding vonnöten ist, wenn das Gebäude nach oben wächst. Wenn sie es dann noch mit grünem Netz oder Werbeplanen zuhängen, nützt mir auch mein Eulennest nicht mehr viel. Das war es dann mit dem Blick von oben. Aber bis dahin ist hoffentlich noch ein bisschen Zeit ...

12. Mai 2020

Dämmwolle wurde angeliefert. Warum jetzt schon, wo doch erst ein Fünftel des Hauses steht? Und offenbar wurde der Fahrstuhlschacht gebastelt (Foto Mitte). Das sieht ungefähr so aus, wie ich es auch mit Pappmaché hingekriegt hätte. Im Hintergrund wurde aus Holz eine Galerie gezimmert. Wohl für den zweiten Stock. Alles wirkt ein bisschen so wie eine Kombi aus Fischerbaukasten (kennt heute wahrscheinlich niemand mehr) und Lego. Ich kann mir kaum vorstellen, dass in diesem Spielzeughaus mal jemand wohnen soll. Und wie lange hält so was? Dreißig Jahre? Fünfzig Jahre. Die preisgekrönten Seminarhäuser aus Sichtbeton in der Frankfurter Gräfstraße, die in den Siebzigern gebaut wurden und in denen ich in den Achtzigern studiert habe, sind vor zehn Jahren abgerissen worden. Und schon zu meiner Studienzeit hat es da reingeregnet ...

Hach, ich werde alt. Ich sehne mich nach Stein auf Stein und Erkerchen und Fassadenschmuck, Giebelchen und Ziegeldächern. Und ich lese mit Begeisterung Artikel wie "von Termiten lernen". Lehmbauweise mit natürlicher Klimatisierung. Weil – auch in unseren Breiten soll es ja demnächst heiß werden :-) Und da nützt auch Steinwolle oder Styropor auf Beton nix mehr. Wetten?

08.05.2020

Seit gestern gibt es meinen Blog "Frische Grube in der Fischergrube" genau ein Jahr. Und wer bei den aktuellen drei Fotos genau hinschaut, sieht, in welch rasender Geschwindigkeit die Platten verbaut, die Mauern gemauert werden. Die Fotos sind vom 5., 6. und 8. Mai. Eine Frage beschäftigt mich aber jetzt schon: Wie wollen sie den Kran eigentlich jemals wieder da rausholen? Es bleibt spannend ;-)

01.05.2020

Ich hatte übrigens eine sehr antiquierte Auffassung von der Arbeit eines Kranführers. Genauere Beobachtung hat ergeben, dass dieser hier keineswegs oben in dem verglasten Führerhäuschen sitzt. Souverän wandert er über die Baustelle, vor dem Bauch ein Ding, das aussieht wie eine Playstation. Mit einem Daumendruck, manchmal auch mit beiden Händen und mehreren Fingern an den Reglern und Tasten, bewegt er den Kran und dessen Last zentimetergenau. Das räumliche Vorstellungsvermögen des Krandompteurs muss außergewöhnlich sein!

27.04.2020

Die Container wurden versetzt. Vermutlich, weil vorne links weiter gebaut werden soll. Und heute wurde doch tatsächlich eine Mauer gemauert, ganz traditionell mit Speis, Wasserwaage und Gummihammer. Allerdings nicht mit Steinen, sondern mit vorgefertigten weißen Bauteilen aus was für einem Material auch immer ... Die Außenmauern bestehen aus seltsamen Fertigteilen. Ich war vorher immer noch auf dem Stand Gussbeton, der in Verschalungen aus Holz gefüllt wird. Und ganz früher, in jener Moderne, die meine Jugend war, gab es Hohlblocksteine und Ytong und dergleichen zum aufmauern. Und ganz, ganz früher ... na ja, das weiß ja jeder. Jedenfalls ist es hochinteressant, moderne Bautechnik zu sehen, auch wenn ich bei vielem nicht verstehe, wie das funktionieren soll, wenn es dann vier Stockwerke hoch ist. Und wie die Betondecken oder aus was die Decken auch immer bestehen werden, halten sollen. In Gegenwart so vieler alter Backsteinbauten, denen die Menschen, die sie gemauert und gezimmert haben, viel von sich mitgegeben haben, wovon wir, die wir heute darin leben, immer noch etwas zu spüren scheinen, hat die moderne Bauweise etwas von chemisch hergestelltem Blockkäse im Vergleich zu höhlengereiftem Schweizer Gruyère ... Aber das ist bestimmt wieder nur ein Vorurteil.

26.04.2020

Das ist jetzt echt was für Leute, die gern puzzlen. Oder die Bilderrätsel machen: Was ist auf dem neuen Bild anders als auf dem Vorigen? Schwer zu sagen. Mir sind die Fenster aufgefallen, die ausgesägt wurden. Und die wundersame Vermehrung der Container. Schließlich muss jetzt für jeden Bauarbeiter ein separates Waschbecken zur Verfügung stehen ... Seltsamerweise gibt es trotzdem keine sieben, sondern nur wie bisher zwei Dixie-Klos. Apropos - was macht eigentlich der Kranführer, wenn er mal dringend muss??? Das wäre was für die Sendung mit der Maus :-)

15. April 2020

Viel Rumgewurstel, es wird alles ziemlich unübersichtlich. Man beachte das neue Fundament des Hausteils links.

03. April 2020

Endlich wieder ein Foto! In rasender Geschwindigkeit ziehen die Bauarbeiter das Ding hoch. Sogar der Container wurde aufgestockt und eine Galerie gebaut, weil man sich dem zweiten Stock nähert. Bald kann ich selbst von hier oben aus meinem Eulennest nicht mehr IN die Grube schauen, sondern nur noch gegen die Wand. Trotzdem – es bleibt spannend!

Alles Gute meinen Leser*innen, bleiben Sie gesund in diesen Coronazeiten!

13. März 2020

Bis jetzt war's eine Grube, nun steht die erste Wand – wenn auch nur die Verschalung für die zu gießende Wand. Nebenan in der Kupferschmiedestraße hat Possehl ein neues Gebäude hochgezogen und den nackten Beton immerhin freundlich und zum Stadtbild passend verklinkert. Man hat sogar ganz nostalgisch ein Schmuckgesims angebracht. Zwar auch aus Beton, aber der wird ja dann angemalt. Mensch, Possehl, so viel Retro wäre ja gar nicht nötig gewesen! Hier in der Fischergrube wird bestimmt nicht geklinkert, wenn man sich den bereits bestehenden, grau verputzten Teil des B.i.g-Bau-Areals anschaut. Meine Depression, ausgelöst von Corona und dem Stillstand des öffentlichen Lebens, wird von dieser Aussicht (sic!) nicht gerade gelindert ...

09. März 2020

Eine Woche lang wurde die Stahlmatte für das Fundament gelegt. In nur einem Tag, nämlich heute, wurde das Fundament dann gegossen. Am meisten Spaß hat mir der Bauarbeiter mit dem Glättbrett gemacht, der in Gummistiefeln im quatschenden Beton herumgestapft ist und ihn mit einer Art Rechen, an dem vorn eben das Glättbrett befestigt war, fein verstrichen hat wie Creme auf einer Torte. Mmmh ...

27. Februar 2020

Jetzt werden die Fundamente gelegt. Bei den quadratischen Aussparungen handelt es sich vermutlich um die Fahrstuhlschächte. Irgendwie sieht die Fläche, auf der das neue Haus entsteht, ziemlich klein aus. 18 Wohnungen sollen da rein. Kann man sich kaum vorstellen.

14. Februar 2020

Mittlerweile kann man den Grundriss des neuen Gebäudes besser erkennen. Zur Zeit werden die ersten Verschalungen gesetzt. Ich wusste gar nicht, dass Beton beim Verbauen ziemlich viel klimaschädliche Gase freisetzt ...

5./6. Februar 2020

Der Kran ist da! Jetzt weiß ich auch, wofür die quadratische Plattform gegossen wurde ... Bin gespannt, wie es weitergeht.

19. Januar 2020

Das erste Foto im Neuen Jahr. Es hat sich einiges getan auf der Baustelle, aber alles sehr kleinteilig. Vorarbeiten für Strom, Wasser, Abwasser und vermutlich für den unvermeidlichen Kabelanschluss. Den Grundriss, die das spätere Gebäude haben wird, kann man schon ziemlich gut erkennen. Wie sich die Mieter oder Eigentümer der Wohnungen in dem grauen Haus mir gegenüber wohl fühlen werden, wenn sie, statt auf die schönen alten Speicher gegenüber, dann plötzlich irgendwann in einen dunklen Hof und gegen eine Mauer glotzen? Denn ihnen wird ja gleich auf zwei Seiten das Licht genommen! Im Moment lassen sich Fotos nur schwierig machen, weil es entweder jahreszeitbedingt zu dunkel ist oder ganztägig die Sonne blendet. Das hat sich dann irgendwann, wenn das Haus steht, auch erledigt. Dann kommt die Sonne in meinem Eulennest nur noch im Hochsommer an. Aber dann mache ich ja auch keine Fotos mehr ...

21. Dezember 2019

18. Dezember 2019

Zwischen diesen Aufnahmen liegt ein Tag. Es geht so schnell voran, dass ich kaum mitkomme.

10. Dezember 2019

09. Dezember 2019

08. Dezember 2019

04. Dezember 2019

Hm, Folgendes ist passiert: Die mühsam versenkten Pfeiler werden etwa einen Meter tief wieder ausgebaggert, entgrätet und geköpft. Die Gräten und Köpfe landen in der grünen Mulde von Grabowski. Mal sehen, wie es weitergeht ...

28. November 2019

Heute morgen um halb acht machte es rattatazong, rattatazong, und der Presslufthammer begann damit, den Sockel des dicken schwarzen Rohres abzutragen. Über dieses Rohr habe ich mir seit drei Jahren den Kopf zerbrochen. Tiefgaragenbelüftung? Fernwärmeabzug? Aber eine Tiefgarage gibt es nicht, und bei Fernwärme hätte es ab und zu mal dampfen müssen. Das kenne ich aus Kiel, wo auch überall irgendwelche Rohre aus der Erde ragen.

Jetzt weiß ich endlich: dieses schwarze Rohr hatte überhaupt keine Funktion. Es stand einfach nur als eine Art Skulptur für Arme auf der Brache. Jetzt liegt es unbeachtet am Rand der Baustelle und wartet vermutlich auf den Abtransport. Wohin man es wohl bringen wird? Ob es jemals wieder aufrecht stehen wird? Ich werde es jedenfalls vermissen.

27. November 2019

Jetzt wird aufgeräumt und was noch aus der Erde ragt, platt gemacht.

21. November 2019

Gestern am späten Abend wurde die Riesenramme abgeholt. Stundenlang war die Fischergrube gesperrt. Das schwere Fahrzeug stand wartend wie ein Monsterinsekt mit leuchtenden Fühlern auf der Baustelle. In der Zwischenzeit wurde der Tieflader zusammengebaut. Irgendwann war es so weit: Mit unglaublicher Eleganz drehte und wendete die Ramme zuerst auf der Stelle. Die Maschine kann offenbar jedes Einzelteil, von den schweren Ketten über die stabilisierenden Füße bis zum Mast um 360 Grad drehen oder um bis zu 180 Grad kippen. Der leuchtende Megakrabbler stellte seine Ketten quer und rollte langsam mit knirschendem Geräusch Richtung Straße. Immer wieder justierte der Maschinenführer den Aufbau, drehte, kippte, drehte zurück, senkte. Ein Wahnsinns-Spektakel für mich oben an meinem Fenster. Irgendwann stand die Ramme dann tatsächlich auf der Straße. In Zeitlupe fuhr sie auf den Tieflader, war nicht zentimetergenau eingeparkt, musste nochmal zurück, dann wieder vor, bis alles perfekt saß. Wenig später kam die Zugmaschine, und dann ging es im Schritttempo durch die Stadt zurück zum Bauhof oder zur nächsten Baustelle.

Zurück blieb mal wieder meine schöne Brache, nur dass da drin jetzt achtzig Betonpfähle stecken. Ein paar der Stellen, wo die Ramme sie versenkt hat, kann man noch sehen. Maulwurfshügel aus Beton, mit Antennen aus Eisenstäben.

18. November 2018.

Kurz vor Dienstschluss um 17.15 Uhr.

15. November 2019

Ein paar Eindrücke vom Einbringen der Betonpfähle, die das Fundament des Neubaus bilden werden. Zuerst bohrt der lange Bohrer ein tiefes Loch, dann kommt ein ebenso langes, rundes Stahlgerippe hinein (ohne Bild), dann wird die Gießmulde mit Beton gefüllt, hochgezogen und, von Hand geführt, oben reingekippt. Der Beton härtet dann im Boden aus, die Enden des Stahlgerippes ragen noch aus dem Boden, werden später umgebogen und mit einer dicken Pressspanmatte bedeckt, die anzeigt, dass hier schon gebohrt wurde.

10./11. November 2019

Die ersten Betonpfähle wurden in den Boden eingebracht. Zuerst wird gedrillt, dann kommt das Eisenskelett (vom Stapel links im Bild) ins Loch, dann wird das Ganze mit Beton verfüllt. Ich stelle mir vor, wie der Drillbohrer die schönen alten Backsteine drei Meter tiefer zerstört. Kein schöner Gedanke.

07. November 2019

Das kann ja heiter werden ...

06. November 2019

Schweres Gerät wurde aufgefahren. Ich bin gespannt!

26. Oktober 2019

Tja, jetzt fehlt nur noch die neue Asphaltdecke, und alles wäre wieder auf Anfang. Puh, ich habe keine Lust auf einen Neubauklotz, der mir den Blick auf Marien- und Petrikirche versperrt.

21. Oktober 2019

Uiuiui, es geht seit gestern holterdipolter. Parallel zur Ankunft des Baggers haben die Archäologen noch einen alten Balken vermessen, etwa vier Meter lang, mit je einer rechteckigen Kerbe an jedem Ende. Vielleicht noch ein Teil der mittelalterlichen Wasserleitung. Oder er gehörte zum hölzernen Gitter, das in dem schwammigen Grund das Fundament der Buden bildete. Während das letzte Fundstück also die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler in Anspruch nahm, schaufelte der Bagger den Schutt, den die Forscher über Wochen mit Schippe und Schubkarre aus den ehemaligen Buden geholt und in die offen gelassene Grube gekippt hatten, wieder raus und auf den Kipper, um dann in Windeseile die drei oder vier Sandhügel, die seit drei Monaten geduldig auf ihren Einsatz gewartet hatten (komisch, dass auf ihnen nicht wenigstens ein Löwenzahn gewachsen war ...) in den Ausgrabungen zu verteilen und platt zu klopfen. Auf dem letzten Foto des heutigen Tages, im Nachtmodus mit einem Nokia 7.2 aufgenommen, sind die Kontraste heftig, aber ausnahmsweise brannte mal Licht im Treppenhaus links gegenüber, so dass die beleuchteten Treppenhausfenster, der Bagger und das Herbstlaub des Baums vor der Kirche rechts ein schönes gelbes Dreieck bilden. Wie immer können die Fotos per Klick vergrößert werden.

 

10. Oktober 2019. Dort, wo die Buden standen, haben sich die Archäologen bis unter die Fundamente durchgegraben und Interessantes zutage gefördert, zum Beispiel die drei Holzpfähle, die im linken Abschnitt aus der Erde ragen. Wie tief sie wohl noch in den Boden reichen? Interessant finde ich auch die grauen, unregelmäßige Bruchsteine vor der Mauer. Irgendwie scheint es mir, als seien die armseligen Buden am Ellerbek mit ihrem Sammelsurium an verwendeten Baumaterialien für die Forscher interessanter gewesen als die großen Speicher an der Fischergrube.

01. Oktober 2019

Im Moment fehlt mir leider die Zeit zum ausführlichen Kommentieren, daher nachstehend nur die aktuellsten Fotos von der Grube. Wie man sieht, haben die Techniker vom Netz Lübeck eine Extra-Grube gegraben, übrigens auch auf der anderen Straßenseite, vermutlich um Kabel zu verlegen.

Hinten, wo die ehemaligen Buden standen, haben sich die Archäologen, denen man offensichtlich eine Verlängerung zugestanden hat, fast bis zum Mittelpunkt der Erde durchgegegraben, die Mauern und Ziegelböden abgetragen und jeden Quadratzentimeter Krume in der Schubkarre mit einem Kratzer auf etwaige Artefakte untersucht.

Irgendwie ist es ja schon seltsam, dass fünf oder sechs Leute monatelang in mühevollster Handarbeit eine Grube graben, die der Bagger dann in einer halben Stunde wieder zuschüttet.

29. August 2019

Heute wurde in meiner Grube nicht gekratzt, gekehrt, gesiebt, gepumpt, geraucht, gelacht, geredet. Verwaist liegt sie da, und ich fürchte, das ist das Ende der archäologischen Bestandsaufnahme. Leider wird es demnächst nicht wie in „Berlin Alexanderplatz“ heißen: „Rumm, ramm, ratscht die Ramme nieder“, sondern die Betonpfähle werden, wie mir ein kundiger Mensch erklärte, eher schraub, schraub, knirsch in die alten Ziegelböden und darunter ins Erdreich versenkt. Warten wir's ab ...

21. August 2019. Morgenstimmung in der Grube :-)

12. August 2019

Als ich vorgestern mal wieder auf der Terrasse des Hansemuseums war, um die Abendstimmung zu genießen, fiel mir ein Objekt auf, das da sicher schon länger liegt, aber bisher meiner Aufmerksamkeit entgangen war: die Nachbildung einer hölzernen Wasserleitung aus dem 14. Jahrhundert. Ein rechteckig gekehlter Eichenbalken, darauf ein Deckel aus dem gleichen Holz. Mit diesen Konstruktionen wurde Frischwasser, etwa aus der Wakenitz, auf den Burghügel geleitet, das zuvor in großen Wasserspeichern gesammelt worden war.

Ganz ähnliche, wenn auch schmalere hölzerne Wasserleitungen, haben die Ausgräber auch in meiner Grube gefunden.

Was sich im Ellerbrook gerade tut, kann ich von oben nicht so genau sehen, aber auch aus der Nähe erkenne ich nur, dass man sich mit Schippe, Besen und Schubkarre langsam in die Tiefe gräbt. Dabei kommen interessanterweise Flächen zutage, die mit mittelgroßen bis großen wohlgerundeten Strandsteinen gepflastert sind. Solche rundgeschliffenen Steine findet man an der Ostsee vor allem an den Steilküsten. Billiges Baumaterial, haltbar und leicht auszubessern ...

Mit einem Presslufthammer wurde außerdem der ohnehin immer behelfsmäßig wirkende Bürgersteig aufgestemmt, vermutlich, weil die Begrenzungen der Buden im Ellerbrook nicht mit der heutigen Straßenkante übereinstimmten. Dadurch ist der Bauzaun jetzt an dieser Stelle bis zum Bordstein verschoben worden.

In Kiel bin ich gestern an einer Baustelle vorbeigefahren, in der noch mehrere halb verrottete Betonpfähle des Vorgängerbaus steckten. So konnte ich mir schon mal einen Eindruck davon verschaffen, wie es unter dem Neubau in der Fischergrube irgendwann aussehen wird.

05. August 2019

Mittlerweile ist meine Baustelle wieder mehr Brache als Grube. Es tut sich wenig, was von hier oben sichtbar und beschreibbar wäre. Gestern und vorgestern hat es geregnet, und übers Wochenende sind die verbliebenen Ausgrabungen wieder mit Wasser vollgelaufen. Heute, am Montag, haben die Pumpen wieder ganze Arbeit geleistet. Alles trocken. Kleine Bagger kommen und gehen, die grüne Mulde von Grabowski war heute Morgen noch voll, heute Abend ist sie leer und steht ein Stück weiter links. Ein bisschen gebuddelt wurde heute ganz am Rand, dort, wo die Archäologin vor einiger Zeit mit rotem Farbspray gekennzeichnet hat, dass sich unter dem Erdreich senkrecht zur Fischergrube verlaufende Brandmauern befinden. Es wurde fotografiert, vermessen, und dann stieg jemand mit dem Handfeger nach unten in die Minigrube, fegte Dreck zur Seite, ehe weiter dokumentiert wurde. Zwei Stunden später war das kleine Loch wieder verfüllt. Gruben-Melancholie um 20.25 Uhr ...

02. August 2019

Zwei kleine Gruben-Stillleben. Die Kabeltrommel unter dem Eimer ist einer meiner Favoriten in der Grube. Gleichzeitig naiv und praktisch, gibt sie mir den Glauben zurück, dass nicht jedes Problem digital zu lösen ist. Überhaupt bin ich gespannt, welche Technologie die Digitalität als neues Allheilmittel für die Nöte der Menschheit ablösen wird. Aber das werde ich vermutlich erst erleben, wenn ich längst selbst in der Grube liege.

Auch das zweite Foto zeigt einen Eimer, allerdings als Gefäß und nicht als Regenhaube. Was darin gesammelt wurde, ist nicht so genau zu erkennen. Es sind Scherben, glasierter Ton, etwas, das aussieht wie eine Spindel, irgendwelcher Haushaltsbruch der Jahrhunderte. Jedenfalls interessant genug, um ihn in diesem Eimer aufzuheben und nicht in den Container von Grabowski zu befördern. Aber auch nicht wertvoll genug, um ins Depot zu wandern.

Ich möchte gern wissen, was die Stadtarchäologen da unten denken, wenn sie sich Zentimeter für Zentimeter durch den Schutt arbeiten, um mit glasierten Scherben oder einem alten Hühnerknochen belohnt zu werden. Sind sie neugierig? Erwartungsvoll? Oder abgeklärt und cool? Sind sie Schliemänner im Geiste geblieben oder Grabungsbeamte? Oder ein Zwischending? Ich wünschte, einer von ihnen würde mir mal schreiben. Die Einsamkeit der Langstrecken-Bloggerin (immerhin drei Monate!) ...

31. Juli 2019

Da bin ich also  zurückgekehrt zu meiner Grube, die so frisch nun auch nicht mehr ist. Fast drei Monate verfolge ich nun schon die Arbeiten auf dem Gelände mit Text und Bild. Gerade ist mir klar geworden, dass es, sobald die Archäologen fertig sind, gar keine Grube mehr geben wird wie bei einem „normalen“ Gebäude, weil ja der Bagger nicht mehr kommt und stattdessen die Ramme, um die 80 Betonstelzen einzupfählen. Als ich noch in Hamburg gewohnt habe, bin ich von der Haltestelle Friedrichsberg mit der S1 immer an einer riesigen Baustelle vorbeigefahren, dem Klassiker: Grube ausheben, vier Bagger, Rampen für die Kipper, die so dicht hintereinander fuhren wie auf einer Autobahn. Dann Stahlmatten rein, Gussbeton drauf, Bretterwände hochziehen, mit Beton ausgießen und so weiter. Monatelang passierte alles ganz tief unten, und irgendwann erreichte dann das Betonskelett des neuen Bürohauses S-Bahn-Gleishöhe, wuchs und wuchs, wurde irgendwann mit Glas und irgendwelchem Natursteinschnickschnack oder auch mit Metall verkleidet, und jetzt steht es da, langweilig und gläsern, bis es in zwanzig Jahren verrottet ist, abgerissen wird und Platz macht für eine neue Grube ... Vielleicht baut man dann ja auch ganz anders. Im Wabensystem aus dem 3D-Drucker, der die Teile ausspuckt, die dann Roboter zusammensetzen. Oder so ähnlich ...

 

Hier auf meiner Baustelle ist der Hingucker zur Zeit nicht die Ausgrabung der ollen Buden, winziger Häuschen im Ellerbrook, deren Mauerreste und Fußböden aussehen, als hätten sich die armen Leute einfach Bauschutt zusammengesucht, um daraus einen halbwegs erträglichen Wohnraum zu errichten. Nein, was mir gerade am besten gefällt, ist das Ton in Ton-Design vorne rechts am Zaun, wo das blaue Werbebanner „Altstadthöfe II“ des Bauträgers mit den blauen Dixiklos eine poetische ménage à trois eingeht. „The blue Loo – sittin' on the edge of the pit“ könnte ein Song sein ...

 

Während meiner Abwesenheit haben die Archäologen die Kloake ausgepumpt, und wenn man die Nase weit genug in die Zwischenräume des Bauzauns steckt, kann man ahnen, wie tief dieses sehr adrett gemauerte Loch ist. Die konisch angelegte Holzkonstruktion dahinter, eine Art Rinne, die vielleicht zu einer Latrine gehörte (mutmaßt die Hobbyarchäologin), wurde ausgebuddel und wahrscheinlich zum Trocknen ins Depot gebracht. Jetzt ist da nur noch ein Schlammloch.

 

Gestern wurde wieder von zwei Damen fleißig vermessen und aufgezeichnet, einer der Baustellenhunde schaute seinem Frauchen (darf man das noch sagen???) interessiert zu, der Rest der Mannschaft stand müßig dabei, rauchte, lachte, unterhielt sich und machte den Eindruck, das Stadtarchäologendasein sei das Schönste auf der ganzen Welt.

 

Es folgen die neuen Fotos, die natürlich wie immer per Mausklick vergrößerbar sind.

14. Juli 2019

Letzes Foto vor der Sommerpause bis zum 31. Juli. Bin schon so gespannt, was sich bis dahin in meiner Grube getan haben wird ...

11. Juli 2019

Schon nach anderthalb Tagen ist die Grube wieder voll. Nicht voll Wasser diesmal, sondern voll Kies und Sand. Es ist schön, den Bagger wieder bei der Arbeit zu sehen, so präzise, so elegant. Auch wenn ich den mittelalterlichen Grundmauern hinterher trauere, muss ich zugeben, dass ich jeden Tag neugierig bin, was heute passiert. Immerhin ist den Archäolog*innen der Rest des Areals am Ellerbrook geblieben. Schon hat man dort eine neue kleine Grube gegraben. Von meinem Eulennest aus kann ich das aber weder richtig sehen noch fotografieren. Jetzt genieße ich erstmal bei geöffnetem Fenster die Abendstimmung, höre der Amsel zu, rieche die gewittrige Luft, und freue mich über die Ruhe in der Grube, denn wenn auch der Bagger nicht laut ist, scheppert doch der Plattmacher ziemlich heftig und dieselt mir außerdem die Bude voll. Neulich wurde übrigens schon mal ein Kran vorgefahren, der aber wohl zu früh bestellt worden war und wieder verschwand.

10. Juli 2019

Ach ...

10. Juli 2019

Gestern schon kam der Bagger wieder, und als ich heute Morgen aus dem Fenster schaute, war die Grube bereits mit einer weißen Plane ausgelegt. Ein Kipper hat ein paar Fuhren Kies gebracht, aus dem zuerst eine Rampe aufgeschüttet wird, welche von einem Plattmacher planiert wird, damit der Bagger runter fahren kann. Es riecht nach Diesel, es macht Krach, und dass es immer noch kalt und dunkel ist, hilft auch nicht wirklich gegen meine Grubendepression. Ich will nicht, dass da gebaut wird. Ich will es einfach nicht. Kann denn nicht irgendwo einfach mal Nichts sein? Aber das halten Menschen wohl nicht aus.

9. Juli 2019

Sie sind weg. Die Archäologen sind weg. Meine Grube liegt verwaist. Alles ist aufgeräumt. Die Schubkarren sind weg. Die Plane ist weg. Die Pumpen und Schläuche sind weg. Einsam, ausgehöhlt und irgendwie nackt, den Blicken schutzloser ausgesetzt, liegt die Grube da. Es hat geregnet. Die Gruben in der Grube sind zum Teil wieder vollgelaufen. Im Wasser spiegeln sich die Wolken. Ich möchte, dass es so bleibt. Dass dieses markante Loch in der Stadt nicht verschlossen wird. Dass es uns daran erinnert, was sich unter unseren Füßen befindet, wenn wir durch die Straßen gehen. Dass wir eine Verbindung halten nach unten, hinein in die Geschichte. Dass wir uns als Hinübergehende empfinden. Die, die gerade da sind. Die, die irgendwann weg sein werden. Dass andere nach uns kommen werden und hoffentlich nie wieder ein Krieg, der Gruben schlägt, tötet, verletzt, zerstört.

Bald kommt der Kies. Dann kommt der Beton. Dann wächst das neue Haus. Ich wünschte, die Spuren, die jetzt freigelegt worden sind, könnten in diesem neuen Haus erhalten werden, als begehbare Geschichte. Wie zum Beispiel in der Casa Balbi in Rom. Aber das sind ja nur Träume, hier oben in meinem Eulennest, in diesem frösteligen Hochsommer in Lübeck.

6. Juli 2019

Neulich bekam ich da oben unterm Dach Besuch. Wusch, surrte etwas laut brummendes, schwarzes und ziemlich großes durch mein Eulenfenster an mir vorbei, wurde aber von der schräg gegenüberliegenden Dachfensterscheibe abgebremst. Völlig geschockt sah ich, dass es sich um eine riesige Hornisse handelte. Der Länge nach mindestens fünf Zentimeter. Ich bin ein Mal von einem solchen Exemplar völlig ohne Grund und Vorwarnung gestochen worden und hatte jetzt Angst. Da ich aber in fünf Minuten in der Stadt einen Termin hatte, konnte ich mich nicht einfach in den hintersten Badezimmerwinkel zurückziehen und hoffen, dass das Vieh von selbst wieder verschwand. Vorsichtig näherte ich mich dem großen Dachfenster, das Ungeheuer fest im Blick. Hornissen greifen nämlich von sich aus an, nicht erst, wenn man unfreundlich zu ihnen ist. Nun, ich wollte freundlich sein, packte die Fensterhebel, klappte ganz, ganz langsam das Fenster auf, bis es fast um hundertachtzig Grad gedreht war. „Los, Horni, die Freiheit winkt“, sagte ich. Aber Horni klebte jetzt unten an der Scheibe, obwohl ihr der Wind durch den Pelz fuhr. Rechts, links, unten war Luft und sie hätte einfach wegfliegen können. Tat sie aber nicht. Unschlüssig stand ich einen Moment da. Wenn sie jetzt auf mich losging, traf sie genau meinen Bauch. Aber das Fenster wieder zuklappen, war auch keine Alternative. Ich holte ein Handtuch, betete kurz, dass das Vieh die richtige Entscheidung treffen würde, und schlug ein Mal von oben auf die Scheibe. Horni machte tatsächlich beleidigt die Biege, statt sich auf mich zu stürzen. Ehe sie um die Ecke düsen und durchs vordere Fenster wieder reinkommen konnte, schmiss ich alle Fenster zu und rannte zu meinem Termin.

Vor ein paar Tagen hörte ich Hornis Brummen erneut. Panisch sprang ich vom Sofa auf – aber es war keine Hornisse zu sehen. Das Summen und Brummen kam von draußen, und zwar aus Richtung der Grube. Dort standen die Archäolog*innen, einer davon mit Steuerung in der Hand, und schauten gebannt nach oben. Ich schaute auch nach oben, aber in meiner luftigen Höhe war nichts zu sehen, nur zu hören. Ich schaute nach unten, und irgendwann entdeckte ich die weiße Drohne. Sie glänzte so im Morgenlicht, dass man sie fast nicht sehen konnte, und schwebte etwa fünf Meter über der Grube.

Schon öfter hatte ich Leute in der Grube gesehen, die das Areal auf unterschiedlichste Weise dokumentierten. Manchmal ganz klassisch zeichnend und schreibend, manchmal mit dem Tablet oder dem Fotoapparat. Dann wieder mit professionellem Vermessungsgerät. Jetzt also Luftaufnahmen mit der Drohne. Endspurt, ehe die Archäolog*innen die Arbeiten beenden müssen. Ich hoffe sehr, dass irgendwann ein großer Artikel in den Lübecker Nachrichten erscheint, in dem die Erkenntnisse und Funde aus meiner Glücksgrube vorgestellt werden. Ich selbst bin ja nur Beobachterin aus der Ferne, schaue runter, mache mir meine Gedanken, dokumentiere auf meine Weise, und weiß inhaltlich so wenig wie die weiße Drohne, die Aufnahme um Aufnahme macht, ohne an der Auswertung beteiligt zu sein.

28. Juni 2019

Ich möchte nicht wissen, wie viele Kubikmeter Schlamm, Brandschutt und zerbröselte Ziegel die städtischen Mitarbeiter bisher in mühsamer Kleinarbeit mit Schaufel und Kratzer weggeschafft haben. Die Belohnung sind im Falle meiner Grube Grundmauern, verkohlte Reste von Eichenbalken, Entwässerungsanlagen und seit ein paar Tagen eine runde, gemauerte Kloake (auf dem Foto hinten rechts), in der aber auch nicht, wie manchmal bei anderen Grabungen, alte Tontöpfe, Münzen, Hundeskelette oder ähnlich Interessantes zu finden waren.

Apropos Entwässerung: Das, was heute die elektrischen Pumpen in der immer wieder volllaufenden Grube leisten, versuchte man im Mittelalter durch eine Vielzahl von Drainagen herzustellen. Gefunden haben die Ausgräber die bereits erwähnten Holzbottiche, in denen das eindringende Wasser aufgefangen wurde, aber auch schöne, exakt ausgekehlte hölzerne Abwasserrinnen, die das Wasser nach draußen in die Fischergrube leiteten. Die hieß nicht umsonst -grube, wie so viele andere Lübecker Straßen, denn neben ihrer Funktion als Straße diente sie eben auch als Entwässerungsgraben. Das Wasser, das man in den Häusern nicht brauchen konnte, leitete man auf komplizierten Wegen in die Trave. Bei Hochwasser half vermutlich nur,  in die oberen Stockwerke auszuweichen und hinterher den Schlamm von der Diele zu kratzen, wie es heute die Archäologen in der Grube tun.

Immer wieder faszinieren mich die Lagen aus Backsteinfundamenten, deren sichtbar unterste, die aber nicht die unterste sein mag, sicher zweieinhalb Meter unterhalb des heutigen Straßenniveaus liegt. Schicht für Schicht, Haus für Haus, Schutt auf Schutt wuchsen die Hügel der Stadt in die Höhe. Damit unterscheidet sich Lübeck natürlich nicht im geringsten von anderen Städten weltweit. Ich schaffe es nicht, die einzelnen Fundamente im Längsschnitt der Grubenränder zu zählen, aber auf zwanzig käme man bestimmt.

Die archäologischen Arbeiten in meiner Grube neigen sich nun dem Ende zu. Nächste oder übernächste Woche wird sie dann wohl in einem Kiesbett verschwinden, bis im September die Bauarbeiten beginnen.

Für die Fotos von der „cloaca maxima“ danke ich übrigens wieder einem freundlichen Herrn in der Grube.

22. Juni 2019

Gestern habe ich mir endlich ein Herz gefasst und bin morgens an den Bauzaun getreten, als bereits Menschen in der Grube waren. Eigentlich hatte ich nur vor, den Bottich zu fotografieren, musste aber schnell erkennen, dass das aus dieser Entfernung nur mit einem gescheiten Teleobjektiv möglich gewesen wäre. Der junge Archäologe, der unterhalb von mir in der Grube stand, sah nett aus, und ich fragte ihn nach dem Holzkübel und nach der Datierung. „Vielleicht Mittelalter, aber eher frühe Neuzeit“, erfuhr ich. Mutiger geworden, stellte ich eine Frage nach der anderen. Hier das Ergebnis meiner etwas eiligen Recherche, denn ich musste ja meinen Laden aufmachen: Im Laufe der Arbeiten hat man sich also bis zu den mittelalterlichen Fundamenten durchgegraben. Mittelalterliche Mauerreste ohne Zement in Läufer- und Bindertechnik errichtet, habe ich zum ersten Mal genauer betrachtet. Ein Blick auf den Wikipedia-Eintrag zum Thema Mauerwerksverband (hier der Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Mauerwerksverband#Verbandarten ) macht Riesenlust darauf, mehr darüber zu lernen. Als ich ungefähr sieben Jahre alt war, wohnten wir direkt am Rand eines großen Streuobstwiesengeländes, das mittlerweile leider völlig zugebaut worden ist. Auch damals wurde schon gebaut, und irgendwann entsorgte jemand auf unserem Naturspielplatz einen großen Haufen Backsteine. Ich fing sofort damit an, mir ein „Haus“ zu bauen (in Bindertechnik, erklärt von Mutti, die alles weiß ...), musste aber enttäuscht feststellen, dass die Steine bei weitem nicht ausreichen. In Rom habe ich dann gelernt, was opus reticulatum oder opus incertum sind, die Tuffsteinmauern aus kleinen quadratischen Steinen, und anhand des Ziegelmauerwerks, das von den antiken Bauwerken übrig sind, kann ich zumindest grob einschätzen, aus welcher Zeit es stammt ...

 

Jetzt bin ich abgeschweift und in Gedanken in Ostia antica oder der Villa Adriana gelandet. Dort sägen jetzt die Zikaden, während wir hier in der Fischergrube schon dankbar sein müssen, wenn wenigstens eine Amsel singt. Die B.i.g. baut zwar  „Altstadthöfe“, aber der Klotz, den man 2010 zwischen Beckergrube und Fischergrube geklemmt hat, lässt wenig „Hof“ und noch weniger Grün erkennen. 2009 hat man ja schon mal auf dem Gelände gegraben, und im Netz habe ich dazu einen ganz informativen shz-Artikel gefunden:  https://www.shz.de/regionales/schleswig-holstein/eine-etwas-andere-haushaltsaufloesung-id954066.html

 

Übrigens: Der runde Stein in der Mitte ist tatsächlich ein alter Mühlstein, der nach Auskunft des freundlichen Grubisten aber als Fundament für ein Fass oder etwas ähnlich schweres gedient haben mag. Die Archäolog*innen haben noch tiefer gegraben (siehe Foto), um herauszufinden, ob er sich bergen lässt, aber seltsamerweise ist die Scheibe sehr dünn, viel dünner als ein normaler Mühlstein, und er weist ein Craquelée auf, so dass er vermutlich zerbröseln würde, wenn man ihn von dem Platz entfernt, an dem er seit hunderten von Jahren liegt. Eine Plane wurde extra für mich zurückgeschlagen, und zum Vorschein kamen noch zwei weitere Holzbottiche, wesentlich besser erhalten als „mein“ Exemplar (siehe Fotos). Diese Kübel wurden unter anderem als Auffangbehälter für das stets gerne eindringende Wasser benutzt, denn Lübecker Keller sind, wie wir auch heute noch oft erfahren, feucht ...

 

Die Fotos verdanke ich meinem Gesprächspartner, dem ich mein Handy in die Grube reichen durfte. Darüber habe ich mich sehr gefreut und bei dieser Gelegenheit auch erfahren, dass das Archäologenteam mein kleines Blog bereits entdeckt hatte.

 

Noch zwei Wochen dürfen sie graben, sichern, kartieren, zeichnen, fotografieren und vermessen. Dann ist Schluss in der großen Grube, und es geht im Ellerbrook weiter. Ab September wird die B.i.g. achtzig Pfähle in die schönen alten Backsteinfundamente rammen, auf denen dann das neue Gebäude entsteht. Vielleicht gibt es ja dann diesmal Platz für ein bis zwei Bäume.

20. Juni 2019

Hier ein kleiner Nachtrag zum Gewittersonntag am 16. Juni: Als ich morgens um halb acht aus dem Fenster schaute, stand meine Grube zu großen Teilen unter Wasser. Der lange Schlauch, der das Wasser aus der Grube in den Gully in der rechten unteren Ecke transportiert, war platt und schlapp. Um kurz vor acht schon erschien die Sonderschicht. Sämtliche Archäolog*innen hatten ihr Sonntagsfrühstück unterbrochen und trudelten eine/r nach dem/der anderen ein, inklusive aller drei „Gruben-Hunde“, die sich offenbar gut kennen und sich, obwohl sie an den Containern angeleint werden, gut vertragen. Einer der Archäologen, der Gummistiefel trug, stieg ins Nasse und zog ein paar Mal an dem Schlauch, der an der Pumpe hing, die untergegangen war. Das Fazit seines Kollegen auf dem Trockenen: Die Sicherung an der Kabelrolle für die Pumpe sei rausgesprungen. Zu nass. Auch die oberste Stufe der neu gebauten Treppe hinten rechts war unterspült. Dafür gab es schnell eine Lösung. Ein herumliegendes Brett wurde untergeschoben und mit ein paar Fußtritten festgeklemmt. Als Letzter erschien ein Herr ohne Gummistiefel, aber in Jeans und weißem Hemd, Zigarette rauchend. Er schritt die Treppe herunter, stellte sich mitten auf den trocken gebliebenen Bereich der ehemaligen Diele und sagte laut und vernehmlich: „Was'n Scheiß!“

Während jemand die Pumpe aus dem Wasser zog, trugen Andere lange Stangen herbei und bauten in Windeseile ein kleines rechteckiges Zelt mit Satteldach auf, das in seiner niedlichen rot-weißen Buntheit und mit seinen Volants an die Zelte eines Ritterturniers erinnerte.

Leider musste ich zur Bahn und konnte den weiteren Verlauf der Trockenlegung nicht mehr verfolgen. Auch hatten mich die fleißigen Grubisten mittlerweile entdeckt, so dass ich mich nicht traute, auch das schicke Zelt zu fotografieren, das, als ich drei Tage später wiederkam, leider nicht mehr stand.

Um halb neun verließ ich das Haus, und siehe da: die Pumpe pumpte, der Schlauch war prall und zuckte wie eine Schlange, die schluckt, und wenn auch heute, am 20.6., die Grube noch ein bisschen schlammig ist, haben die Archäolog*innen doch bereits schon wieder in mühevoller Kleinarbeit weitere Bereiche freigelegt, Tonscherben aufgeklaubt, einen alten Eichenbalken ausgegraben und unter eine Plane gelegt, und in den Fundamenten der kleinen Bude hinten rechts einen in die Erde versenkten, halb verrotteten, Jahrhunderte alten Holzbottich gefunden, in dem das Restwasser grünlich schimmernd steht, und der darauf wartet, ebenfalls geborgen zu werden.

09. Juni 2019

Der Trend geht zur Zweitschubkarre ... (siehe Foto unten)

 

Vor einigen Tagen las ich die FAZ online und sah MEINE archäologische Grube dort abgebildet. Dachte ich. Es handelte sich aber um eine Grabung in Mainz, und dort hat man in einer Baugrube, die ganz ähnlich aussieht wie die in der Fischergrube, den Sarkophag eines vor tausend Jahren an dieser Stelle bestatteten Bischofs gefunden, inklusive Skelett. Gratuliere! So etwas wird hier in meiner Grube natürlich nicht passieren. Immerhin haben sich die Archäologen schon ziemlich fleißig weiter durch den Brandschutt gebuddelt. Nachts pumpt die Pumpe, aber mittlerweile wache ich davon nicht mehr auf, sondern integriere das Geräusch in meine Träume.

 

Ein bisschen Hintergrund zur Grube kann nicht schaden. Das Stadtarchiv hat netterweise eine Liste der ehemaligen Bebauung der Fischergrube online veröffentlicht, so dass ich nachlesen konnte, was vor dem Brand 1942 auf der Grube mit den Hausnummern 63, 65 und 76 stand.

 

Die Nummer 63 war demnach ein großes Stadthaus, das einen Giebel mit Voluten besaß. Vielleicht ist es dasselbe Haus, das 1796 als Wohn- und Brauhaus beschrieben wurde, mit Seitengebäude, Garten und vier eingeschossigen Buden im Ellerbrook. Erwähnt wird an dieser Stelle allerdings schon 1313 eine Domus, von 1400 bis 1437 gehörte das Haus Johan Rover, einem Braumeister, 1668/69 Joachim Borchers, ebenfalls Brauer. 1575 wird dort Rotbier, 1593 Weißbier gebraut. Das geht bis 1804 so weiter, ab 1880 richtet der "Lübecker Verein zur Unterstützung armer Reisender" Unterkünfte ein und bemüht sich dadurch auch um die "Beseitigung der Hausbettelei". Ab 1902 dient das Anwesen als Handelsgesellenschule. 1934 kostete es 49.400 Reichsmark. In der Bombennacht von 1942 wurde es zerstört.

 

Nummer 65 und 67 sind unspektakulärer, obwohl beide bereits 1308 nachgewiesen sind und damals Eylard vamme Stene, einem Ratsmitglied, gehörten. Sie waren zweigeschossig. Nummer 65 kostet 1931 9.100 RM, Nummer 67 kostete 1910 11.500 Mark. Bei beiden Häusern fanden bereits 2009 archäologische Grabungen statt.

23. Mai 2019 Mittlerweile haben die Archäologen in teils mühevoller Kleinarbeit mit Schippe, Besen oder auf den Knien mit Kratzern mehrere Schichten ehemaliger Fußböden freigelegt. Die Backsteine, die dafür verwendet wurden, sind groß, größer als die Ziegel, die normalerweise für die Aufmauerung verwendet werden. Der große Bereich in der Mitte besteht auch nicht aus roten Ziegeln, sondern aus Backsteinen aus gelbem Ton. An einigen Stellen tritt zudem unter den regelmäßig verlegten Bodenziegeln eine ältere Schicht aus unregelmäßigen, unebenen Backsteinen zutage.

Mehrere rechteckige, unterschiedlich große Vertiefungen sowie in der Mitte eine kreisrunde, in den Boden eingelassene Platte, Mauerreste und probeweise abgehobenes Fundament, um darunter liegende Schichten zu begutachten, warten auf die Deutung der Fachleute. Ganz deutlich kann jedoch auch ich als Laie erkennen, dass es gebrannt haben muss. Einige Bereiche sind geschwärzt, und der Schutt, den die Archäologen weggeschaufelt und weggekratzt haben, um ihn per Schubkarre auf den großen Haufen rechts zu befördern, ist Brandschutt.

14. Mai 2019. Mit einem kleinen Bagger, dann mit Schaufel und Schubkarre, wurde ein tiefer gelegenes Fundament ausgegraben, das links jetzt zwei wassergefüllte rechteckige Gruben aufweist. Auch dieses neue Fundament ist mit Ziegeln ganz regelmäßig gepflastert. Dazwischen werden Mauerreste sichtbar. Archäologie ist mühsame, oft schweißtreibende Kleinarbeit. Wenn ich am Fenster stehe und dem Team zuschaue, muss ich immer an meine Zeit in Italien denken, wo unter jedem Quadratzentimeter Boden archäologische Schätze ruhen. Ziegelsteine zuhauf, aber oft eben auch Mosaiken, Wandmalereien, Gräber, Brunnen, Marmorsäulen, Denkmalsockel bis hin zu Überresten von Statuen, dazu Münzen, mal eine Fibel oder bronzene Weihegaben. Hier in der frischen Grube in der Fischergrube ist das, was die Archäologen finden, viel prosaischer. Irgendwo in den Archiven gibt es sicher Pläne, welche Bauwerke früher an dieser Stelle gestanden haben, vielleicht gibt es Fotos, die dokumentieren, wie sich die Gebäude im Laufe des 20. Jahrhunderts verändert haben, vielleicht gibt es sogar Gemälde oder Kupferstiche, die den Straßenzug an dieser Stelle zeigen. Im Mittelalter verlief die wassergefüllte „Grube“ von der Trave bis hierher, ehe die Straße ansteigt. Fischerboote konnten direkt vor den Häusern anlegen. Das „Gruben-“ beziehungsweise Straßenniveau muss früher wesentlich tiefer gelegen haben.

Ich frage mich, ob das neue Haus eine Betonwanne bekommt oder gar versucht wird, einen Keller zu bauen? Letzteres eher wohl nicht. Mein Haus, der alte Speicher direkt gegenüber hat auch keinen. Allerdings kann man mit Beton so ziemlich alles machen. Schließlich härtet er auch unter Wasser – was sich wiederum schon die Römer zunutze machten ... Ihr Beton hieß Opus caementitium und erlaubte ihnen, riesige Bauwerke über und unter Wasser zu erreichten. Die Ruinen beispielsweise der Thermen in Trier, die wir heute bestaunen, sind nichts anderes als der Restbeton, der übrig blieb, nachdem die Einwohner das Betonskelett seiner Verkleidungen aus Backstein und Marmor beraubt hatten. Römischer Beton hält auch nach zweitausend Jahren noch. Unsere Bauwerke aus modernem Beton sind nach zwanzig Jahren so marode, dass man sie abreißen und neu bauen muss.

11. Mai 2019. Gestern Morgen habe ich tatsächlich zwanzig Minuten am Fenster gestanden und zugeschaut, wie der Bagger sich selbst eine Abfahrt von seinem Feldherrnhügel gebaut hat. Er fährt so weit vor, dass die Ketten der Raupe überstehen, baggert Sand von unten nach oben, so dass ein zweiter, niedrigerer Hügel direkt vor ihm entsteht. Dann klopft er das Ganze mit seiner Schaufel platt und fährt gemütlich eine Etage tiefer. Virtuos!

Die Archäologen haben mittlerweile vier Fundamentschichten ausgegraben. Offenbar wurde der neue Ziegelboden immer direkt mit einer Zementschicht auf den alten gelegt. Aber der Längsschnitt durch den Boden links zeigt, dass es noch mindestens zwei weitere Schichten gegeben hat, ehe das heutige Bodenniveau erreicht war.

Mittlerweile ist alles fotografiert und aufgezeichnet worden. Einer der Archäologen war gestern dabei, auf zwei Computerausdrucken minutiös vor Ort Details festzuhalten.

Der Bagger hat den Sand jetzt auch vorne an der Fischergrube ausgehoben. Dort steht Grundwasser, nehme ich an. Es wird mittels eines Schlauchs und einer kleinen Pumpe in den Siel rechts geleitet. Ab und zu schippen Mitarbeiter des Archäologenteams kleine Kanäle frei, damit das Wasser in die größte Pfütze ablaufen kann. Irgendwelche Spuren haben sie in diesem Bereich offenbar bisher nicht gefunden.

Heute, am 7. Mai 2019, haben die Archäologen nicht nur verschiedene Fundamente freigelegt, sondern auch die Reste von Grundmauern eines Hauses im Hintergrund links. Der Bagger hat derweil begonnen, den Sand auf den schönen roten Kipper zu laden. Oft bleiben Leute am Bauzaun stehen und gucken zu. Vor allem Kitagruppen bleiben hier hängen. Die Kids lassen sich kaum dazu bewegen, weiterzugehen. Auch ich könnte stundenlang einfach zuschauen, wie der Baggerführer stoisch seine Schaufel in den Sand gräbt, schwenkt und sie über der Mulde des Kippers mit dem typischen Klackgeräusch entleert. Den Baulärm habe ich mir übrigens viel doller vorgestellt. Das, was Bagger und Kipper an Geräuschen machen, kann man kaum als Lärm bezeichnen.

Die Archäologen kommen!

 

6. Mai 2019. Ratz, fatz hatte der große Bagger den Sand weggeschaufelt. Bald war ein schönes Ziegelfundament freigelegt, vielleicht der Boden eines alten Dielenhauses? Der Bagger wurde von den mit Warnwesten bekleideten Archäolog*innen auf seinen Hügel verbannt. Dann ging es ganz klassisch zuerst mit der Schaufel, später mit Handfeger, Schippchen, Eimer und Sieb an die Arbeit..

 

Mittlerweile stehen auf dem Grundstück auch zwei Container, in die sich der Baustellenhund der einen Archäologin meist verdrückt. Denn der Bagger hat leider auch den für Vierbeiner interessanten Hundekackberg abgetragen. Stattdessen stehen dort jetzt zwei Dixieklos für Zweibeiner ...

 

Über Nacht hat auch der Bauträger seine Werbung an den Bauzaun gehängt, und jetzt ist klar, was das Ganze bis 2021 werden soll: 17 Eigentumswohnungen mit, so die Baugesellschaft, dem typischen Altstadtflair. Da es sich bei dem Bauherren um die b.i.g. handelt, ist die Bezeichnung "Altstadthöfe II" wohl ein Euphemismus. Das Nachbargebäude, das ebenfalls der b.i.g. gehört, sowie viele weitere Neubauten im ganzen Stadtgebiet, zeugen von der Einfallslosigkeit der Architekten, dem mangelnden Willen zum Restgrün, und dem Ziel, Kohle zu machen. Höfe jedenfalls, gar mit ein paar Pflanzkübeln aus Beton, haben die neuen Klötze auf der Insel zwischen Becker- und Fischergrube nicht!

1. Mai 2019. Am nächsten Tag rollte der kleine Bagger an und hob die Asphaltdecke ab. Am Bauzaun hingen nun zwei A3-Schilder. Eines zeigte den Grundriss des gesamten Karrees zwischen Becker- und Fischergrube, das andere erklärte, dass zunächst archäologische Grabungen stattfinden würden, ehe das eigentliche Bauvorhaben beginnen kann.

29. April 2019. Innerhalb eines Tages war die stählerne Einfriedung des Parkplatzes abgesägt und stattdessen ein Bauzaun errichtet worden. Firma "Grabowski" (sic!) mit dem Slogan "Die feine Kunst der Zerstörung", hatte ganze Arbeit geleistet

10. April 2019. Seit zweieinhalb Jahren wohne ich nun in meinem Eulennest im alten Speicher in der Fischergrube. Von dort aus habe ich einen wunderbaren Blick auf die Türme der Marienkirche und die Petrikirche. Anfangs dachte ich beim Glockenschlag der Marienkirche, jemand habe die Uhr falsch eingestellt, denn sie schlug die volle Uhrzeit immer schon zur Hälfte der Stunde. Irgendwann begriff ich, dass sie davor aber nur zwei Mal schlägt, also erst Dong, Dong = halb und dann die volle Stundenzahl. Danach, eine halbe Stunde später, schlägt sie vier Mal und dann eben wieder die volle Stundenzahl. Ist ja auch logisch! Wir sagen ja auch: halb vier oder halb zwölf!

 

Aber aus meinem Fenster guckte ich auch mit – ich gebe es zu – Vergnügen auf jene Brache, die das obige Foto zeigt. Ehemals wohl bebaut mit ebensolchen Speichern und Dielenhäusern wie jenem, in dem ich hause. Danach entweder Bombenkrater oder im Zuge des Abrisswahns nach dem Krieg von allem Alten befreit. In der Folge zur Parkfläche erklärt, dann wurde selbst diese aufgegeben, eingezäunt und jahre- wenn nicht jahrzentelang sich selbst überlassen. Dort lernten Kinder Fahrradfahren, letztes Jahr lackierte dort ein junger Musiker seine selbst gebaute E-Gitarre – und auf dem brennesselüberwucherten Grünflecken ganz hinten verrichteten mehrmals täglich sämtliche Hunde der Nachbarschaft ihr Geschäft. Der kleine Hügel, der unter dem Unkraut liegt, besteht vermutlich zu neunzig Prozent aus Kacke.

 

Von mir aus hätte das auch alles so bleiben können. Doch als ich aus den Osterferien kam, war plötzlich alles anders.