· 

Meine Computer

Nachdem ich vor zweieinhalb Jahren einen Latte Macchiato über mein fast neues MacBook Air geschüttet habe, was einen Totalschaden zur Folge hatte, war ich laptoplos und fühlte mich irgendwie nur eingeschränkt lebensfähig, bis ich jetzt endlich ein neues Macbook kaufen konnte, dank einer parentalen Finanzspritze. Jetzt sitze ich vor diesem Gerät, bewundere sein Äußeres und genieße sein schnelles, komfortables Innenleben. Dabei empfand ich mehr oder weniger genau dasselbe, als ich mir 1995 meinen allerersten Laptop zulegte. Der Escom war noch kleiner als mein MacBook 13", er lief unter DOS, und mein Textprogramm war das unübertroffene WordPerfect. Das Netzteil wog mehr als das Notebook, der Bildschirm war weich, hoch empfindlich, und der Kontrast war vermutlich augenschädigender als früher das Lesen unter der Bettdecke mit Taschenlampe.

 

Der kleine Escom, den ich übrigens im selben Jahr erwarb, in dem die Firma pleite ging, war mein erster Laptop, aber nicht der erste Computer, mit dem ich zu tun hatte, obwohl die Frühzeit der Homecomputer mit ihren Ataris etc. mehr oder weniger an mir vorbei gegangen war. Ich erinnere mich, wie gelangweilt ich war, als ich sechzehnjährig mit meinem ersten Freund bei dessen Verwandten in Landau zu Besuch war, und er und sein Cousin vor einer winzigen grauen Kiste mit hellgrauer Mattscheibe saßen. Auf dieser Mattscheibe flogen kleine schwarze Kügelchen hin und her, die für mein Auge kaum zu erkennen waren, ab und zu ertönte ein Geräusch wie ein Ping oder ein Poff, aber die beiden jungen Männer klebten stundenlang vor diesem Bildschirm und hörten nur mit dem Urahn aller Ballerspiele auf, wenn die Tante zum Essen rief. Ein paar Jahre später immerhin lernte ich bei einer Kommilitonin das Spiel "Hanse" kennen. Der Bildschirm war immer noch grau, der Sound blechern, aber das Spiel um Salz und Aktien fand ich spannend. Ab und zu erschien Waldemar der Schreckliche mit seiner Flotte und machte alle anderen Spieler platt, wenn sie sich nicht zuvor mit genügend Kanonen eingedeckt hatten ...

 

In meinem Studentenjob bei der FAZ landete ich in den achtziger Jahren irgendwann im Vorzimmer jenes Geschäftsführers, der die Entwicklung des elektronischen Zeitungmachens vorantreiben sollte. Im Keller der benachbarten Frankfurter Societätsdruckerei standen damals noch die riesigen Rotationsmaschinen, die, wenn sie mehrmals am Tag alle im gleichen Rhythmus rotierten, eine Welle durch das Gebäude jagten, die das zehnstöckige Verlagshaus in Schwingungen versetzte. Gesetzt wurden die Texte, die die Redakteure auf ihren mechanischen Schreibmaschinen in die Tasten hackten, in Blei, es gab einen Cheflayouter, die Zeitung wurde im Klebeumbruch erstellt, und ein fest angestellter Korrektor sorgte dafür, dass die fertige Zeitung möglichst wenig Druckfehler enthielt, denn diese Druckfehler waren es, die der Leserbriefredation neunzig Prozent der Zuschriften bescherten. Ein lange dauernder Druckerstreik brachte den Druckern zwar irgendwann eine Tariferhöhung, aber er beschleunigte die elektronische Umstellung des Zeitungmachens auf computererfasste Texte, Fotosatz und Umbruch direkt durch die Redakteure am Bildschirm. Einen Korrektor gibt es in den modernen Zeitungsredaktionen schon lange nicht mehr, und durch Copy and Paste rutschen oft ganze Absätze an die falsche Stelle, enden Sätze manchmal im Nirgendwo.

 

Mein erster Computer im Büro, nachdem ich lange Zeit gerne und flott auf der unvergleichlichen IBM Kugelkopfmaschine geschrieben hatte, hieß Diamond, stand in einem überhitzten, technisch riechenden Kabuff im Nebenraum, war ein großer schwarzer Kasten mit großer schwarzer Tastatur, und auf dem Bildschirm flimmerten honigfarbene Buchstaben auf dunkelbraunem Grund, weil man dachte, dass diese Kombination die Augen schone. Der passende Drucker dazu war ein Nadeldrucker, der einen Höllenlärm machte und ständig kaputt war. Erleichtert kehrte ich jedes Mal in mein Büro zurück, schaute aus dem zehnten Stock über Frankfurt und setzte mich froh an meine IBM, die zwar ebenfalls laut war, aber lief wie geschmiert.

 

Als nächstes oder übernächstes kam die Firma Atex und verkaufte der FAZ ein komplettes Redaktionssystem. Der Bildschirmhintergrund war schwarz, darauf flimmerte grellgrüne Schrift, auch diesmal mit der Begründung, das schone die Augen. Die Software konnte tolle Dinge, wenn man die Tastenkombinationen beherrschte, die nötig waren, um Texte für den Fotosatz zu formatieren. Leider nahm das System es anfangs durchaus übel, wenn man aus Versehen eines der Zeichen vergessen oder ein falsches eingtippt hatte. 1988 war ich damit beschäftigt, das umfangreiche Registerheft für das FAZ-Magazin redaktionell zu bearbeiten und für den Satz fertig zu machen. Das geschah studienbegleitend meist abends, und an einem dieser Abende stürzte das gesamte System in sämtlichen Redaktionen ab. Die Programmierer programmierten, das System wurde wieder hochgefahren, die Redakteure (es wurde oft bis dreiundzwanzig Uhr gearbeitet) versuchten, ihre verloren gegangenen Texte aus den Speicherorten in ihrem Hirn zu kratzen, und wir arbeiteten weiter, bis das System erneut abstürzte. Diesmal gab es die ersten wütenden Anrufe im Rechnerraum. Das Ganze geschah etwa noch drei Mal, bis einer der Programmierer herausfand, dass das System sich jedes Mal, wenn ich mein endlos langes Dokument abspeicherte, bei dem Wort "Currywurst" aufhängte, weil ich einen Satzbefehl falsch eingegeben hatte. Die Lokalredaktion, die unter dem Absturz am meisten gelitten hatte, nahm es mit Humor, und Hans-Heinrich Pardey, der bis heute die schönsten literarischen Texte über Fahrräder und Kameras für die Zeitung liefert, schrieb für die nächste Ausgabe eine Miniglosse über den Vorfall.

 

Privat besaß ich damals noch keinen Computer, doch für eine kunsthistorische Hausarbeit über Dorfkirchen im Altkreis Schlüchtern hatte ich keine Lust mehr, meine alte Adler-Reiseschreibmaschine zu traktieren. Also mietete ich für vergleichsweise viel Geld einen Homecomputer für drei Wochen, schrieb mit einer Kommilitonin zusammen einen brauchbaren Text, speicherte ihn ab – und musste zu meinem Entsetzen feststellen, dass der Text anfing, sich von rückwärts aufzulösen. Sobald ich versuchte, den Text per Tastatur zu ersetzen und zu speichern, fraß ein unsichtbares Krokodil die nächsten Zeilen auf. Ein panischer Anruf beim Computerladen brachte den Techniker ins Haus, der lapidar feststellte, dass die Festplatte gebrochen sei, und mir die Schuld daran gab, weil ich auf Nachfrage erklärte, ja, ich hätte heute Morgen den Staubsauger benutzt, als der Computer lief. Meine Kommilitonin, die zu Hause in Seligenstadt einen jungen Mac besaß, lächelte nur dünn, nahm unsere Aufzeichnungen, brachte die Hausarbeit ohne mich zu Ende, und ich kaufte mir frustriert keinen Computer, sondern eine elektronische Schreibmaschine mit Korrekturfunktion, aber ohne Display.

 

Meinen ersten eigenen Computer ließ ich mir 1991 vom Systemadministrator der Firma Konica, bei der ich in Hamburg vorübergehend gearbeitet hatte, zusammenstellen. Rechner, Bildschirm, Tastatur, Drucker. DOS, Word Perfect, mehr brauchte ich nicht, es war ja nur ein Ersatz für die Schreibmaschine. Dass man elektronisch bereits noch ganz andere Dinge auf dem Computer tun konnte, hatte ich bereits 1990 in einem anderen Job – bei der Spedition VTG, erfahren. Von einer Zeitarbeitsfirma ausgeliehen, saß ich im Vorzimmer des Chefs, dem es Spaß machte, dicht hinter mir zu stehen, wenn er seine Briefe diktierte. Wahrscheinlich wollte er mich dafür büßen lassen, dass ich kein Steno konnte. Ab und zu, wenn er mit Amerika korrespondieren wollte, rief er mich in sein Büro. Dann musste ich mich an seinen Schreibtisch vor seinen Computer setzen, und er wies mich an, ein Programm aufzurufen, das mir völlig neu war. Sein Diktat auf Englisch schrieb ich in eine unübersichtliche Maske, die Schriftzeichen waren hässlich, dünn und blass, und oben tippte ich in eine gesonderte Zeile eine Adresse und darunter in eine weitere Extrazeile einen Absender, die seltsame Zeichen enthielten. Ich konnte mir nie merken, wie die Tastenkombination für diese Zeichen hieß und musste sie mir von meinem Chef jedes Mal neu erklären lassen. Das Ganze nannte sich E-Mail.

 

Nach dem ersten Escom-Laptop 1995 folgten weitere Notebooks, als erstes ein monströser Compaq mit Windows 95, der mindestens vier Kilo wog und den ich in rumpelnden Nahverkerszügen durch ganz Sizilien geschleppt habe. In Rom stand er in meiner winzigen Dachwohnung in der Via Nomentana auf einem Klapptisch, und seine Lüftung röhrte im heißen Sommer 2001 bei vierzig Grad im Dauereinsatz. Er hat nicht ein einziges Mal schlapp gemacht! Auf dem dicken Compaq sind "Das Orakel von Cumae" und die "Bacchantische Nacht" und gefühlt hundert Übersetzungen von Trivialromanen entstanden. Meine erste E-Mail-Adresse hatte ich natürlich bei AOL, die ständig ihre CDs mit Mailsoftware kostenlos verteilten. "Sie haben Post", hauchte eine angenehme weibliche Stimme, wenn eine Mail eingetroffen war, und mein Herz begann erwartungsvoll zu klopfen ... Internet über Modem war extrem teuer, aber die Kosten konnten über Call-by-Call-Dienste wie den "smartsurfer" gesenkt werden. Es folgten ein iBook G4, das ich fast zehn Jahre benutzt habe, ein Acer unter Windows XP für die Übersetzungen, weil die Maske, die der Verlag uns aufzwang, nicht unter Apple lief, und schließlich MacBook, iMac und iPhone, voll vernetzt in der Cloud. 

 

Ich könnte heute lauter Funktionen nutzen, die ich nicht im Geringsten nutzen will. Ich könnte mir tonnenweise Software auf meinen schnellen Rechner laden. Ich könnte hunderte von Videos speichern und gucken, gucken, gucken, bis ich schiele. Ich könnte mich kostenlos mit Musik aller Richtungen dauerbeschallen. Doch abgesehen von Internetrecherchen und E-Mails ist mein Computer für mich immer noch in erster Linie ein bequemes Schreibgerät, und das wird vermutlich auch so bleiben. In letzter Zeit habe ich tatsächlich wieder vermehrt angefangen, auch längere Texte mit der Hand zu schreiben. Das stößt an seine Grenzen, denn wenn ich schnell schreibe, stehen auf dem Papier nur noch Linien mit Ausschlägen nach oben und unten, die auch ich selbst maximal noch zwei Tage danach entziffern kann, nicht, weil ich die Chiffren lesen könnte, sondern weil ich mich daran erinnere, was ich geschrieben habe. Und manchmal, in letzter Zeit sogar öfter, denke ich an meine alte schwarze Adler, auf der ich mit zehn Fingern blind schreiben gelernt habe, und ihr freundlicher Klang, der mir immer noch im Ohr ist, scheint mir wie ein Gruß aus fernen, analogen Zeiten.

 

© Beate Schaefer, 2017