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Post aus Lübeck III

Meine Lieblingsseite in der „Brigitte“ ist seit jeher die Kinderseite mit dem Wimmelbild und der Sprechblase: „Wir haben eine kleine Maus versteckt. Findest du sie?“ Ich finde sie immer, allerdings variiert die Zeitspanne, so in etwa zwischen drei Sekunden und zweieinhalb Minuten. Und dann stellt sich so ein völlig blödsinniges Gefühl der Zufriedenheit ein. Jedenfalls für einen Augenblick.

 

In St. Jakobi zu Lübeck, der Kirche der Seefahrer, gibt es ein spätmittelalterliches Wimmelbild – den Altar der Familie Brömbse – vor dem ich regelmäßig hängenbleibe, weil ich nicht genug bekommen kann von der Eleganz, mit der die Figuren aus dem champagnerfarbenen Baumberger Sandstein gemeißelt wurden. Besonders angetan haben es mir die Füße und Rückenansichten, und am meisten liebe ich den jungen Mann, der rechts außen, vom Betrachter abgewandt, mit angezogenen Beinen schläft, während Jesus seinem Grab entsteigt.

 

Ich kenne viele ähnliche Gemälde, aber nur wenige Bildhauerarbeiten dieser Art, und auf diesen Gemälden hat sich oft der Künstler selbst verewigt, erkennbar meist daran, dass er als Einziger aus dem Bild heraus dem Betrachter in die Augen schaut.

 

„Wir haben den Künstler versteckt. Findest du ihn?“

 

Ja, hab ihn auch auf dem Kreuzigungsretabel des Evert van Roden in St. Jakobi gefunden. Van Roden ist ein gutaussehender Mann, nach der Mode der Zeit gekleidet, mit Barett und schulterlangen Locken. Er steht rechts unterhalb des Kreuzes, an dem einer der Schächer hängt, und in der rechten Hand hält er, als Zeichen seiner Kunst, ein Stück Maßwerk, das auch die Spitze eines Filialturms sein könnte.

 

Mittlerweile ist der hübsche Bildhauer ein alter Bekannter, den ich mindestens ein Mal pro Woche besuche. Schade nur, dass ich mit ihm kein Gespräch über Füße führen kann.